Mount Maroon
Mr. Dick hatte den Namen Raymond Myers in die Diskussion eingebracht. Noch einmal hörte er die Tonaufnahme ab, die er von Saunders und Dick gemacht hatte. Die Technik faszinierte ihn. Das Richtmikrofon war nur wenige Millimeter groß und konnte auf eine Entfernung von 30 Metern einen Specht schlucken hören. Mr. Dicks formidable Aussprache tat ihr Übriges. Das war ein entscheidender Punkt, wenn man sich vorstellt, wie viele Silben täglich einer undeutlichen Artikulation zum Opfer fielen. Bartlett hatte zu seiner Zeit als Mitarbeiter einer Detektei in Chicago einen Typen überwacht, der extrem nuschelte. Eines Tages hatte der sich dann auch noch mit einem Stotterer getroffen und die beiden hatten zusammen einen Raubüberfall ausgeheckt. Bartlett hatte das Gespräch im Übertragungswagen live mitgehört, aber so gut wie nichts verstanden. Es hätte sich ebenso gut eine Taube mit einem Delfin unterhalten können. Dagegen war das hier eine Lehrbuchveranstaltung. Sie hätten den Namen Raymond Myers genauso gut auf ein Schild schreiben und in Richtung der offenstehenden Hörsaaltür halten können. John Bartlett war sich sicher: Bei Myers liefen die Fäden zusammen, wie immer. Myers war der Kopf hinter all den seltsamen Experimenten. Hier würde bis Donnerstag nichts passieren. Wie er diesen Saunders kannte, würde er sich vermutlich die meiste Zeit in Museen und Bibliotheken herumtreiben. Also hatte Bartlett zwei Tage Zeit, um nach Fairfax, Virginia, zu fahren und Myers auf den Zahn zu fühlen.
Raymond Myers nahm sein Mittagessen wie jeden Tag in dem für Dozenten abgeteilten Bereich der Mensa ein. Die orangefarbenen Plastikstühle hatten den Charme der siebziger Jahre längst versprüht und wirkten nur noch unzeitgemäß. Man saß an langen Tischen, deren Breite auf das Format zweier gegeneinandergestellter Speisetabletts ausgelegt war. Es herrschte Selbstbedienung und eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Standardmenüs und einem Vollwertessen, das an einem kleineren, gesonderten und wenig frequentierten Ausgabeschalter angeboten wurde. Größerer Beliebtheit erfreute sich das Salatbüffet, das quer vor den Tischreihen stand.
John Bartlett baute sich an einer zentralen Stelle des Raumes auf, um nach seinem Chef Ausschau zu halten. Man hatte ihm gesagt, dass er Myers hier fände. Für die zahlreichen Speisewilligen wurde er zu einem Fels in der Brandung, da er den direkten Weg zwischen der Essensausgabe und den Tischen blockierte und sie ihn mit ihren Tabletts umkurven mussten, wie Berufspendler einen liegen gebliebenen LKW. Die Lemminge warfen ihm böse Blicke zu und schüttelten ihre klugen Köpfe. Es sagte zwar niemand etwas, aber hier und da war ein schnalzendes Geräusch zu vernehmen. Insbesondere die Frauen, die er allesamt um eine gute Kopflänge überragte, reagierten feindselig und verzogen genervt ihre Brauen. Bartlett bemerkte die Ungeduld, war aber nicht bereit, sich darauf einzulassen. Schließlich war auch er nicht zum Spaß hier. Im Übrigen hielt er diese bebrillten Frauenzimmer mit ihren Hochsteckfrisuren für affektiert oder einfach uncool. Er war mit Frauen immer bestens ausgekommen, ganz gleich ob mit den Burgergirls im Drive-In oder den Kassiererinnen in Willys Car Wash. Auch beim alljährlichen Bryson-City-Squaredance-Festival waren alle immer ganz wild darauf, mit ihm zu tanzen. Aber breite Schultern waren hier anscheinend nicht angesagt.
Obwohl er ihn fast nicht erkannt hätte, entdeckte er Myers schließlich. Der Mann hatte nicht nur längere Haare, er trug auch eine Nickelbrille und einen Vollbart. Dennoch, das musste er sein, aber was sollte diese alberne Verkleidung? Bartlett bahnte sich einen Weg durch die Reihen, wobei es sich nicht vermeiden ließ, dass die Klugscheißer ganz nahe an ihre Tischkanten heranrücken mussten. Die Stimmung drohte zu kippen, aber Bartlett hob beschwichtigend die Hände und einen Zeigefinger an die Lippen. Er hatte keine Lust auf eine Schlägerei.
Raymond Myers saß mit zwei Kollegen etwas abseits. Alle drei hatten sich für das Vollwertgericht entschieden, eine undefinierbare Masse, auf der wie zur Abwehr eines bösen Zaubers gekreuzt zwei Maiskolben lagen. Myers selbst war noch mit der Suppe beschäftigt, während er auf die beiden anderen einredete. Als Bartlett vor ihm stehen blieb, schaute er auf. Dann wurde er blass. Seine Stimme klang ungewohnt dünn.
- „Mr. Bartlett? Mein Gott, Sie sind wirklich gekommen? Ich hatte Sie erst in ein paar Tagen
Weitere Kostenlose Bücher