Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
stehen, am ganzen Körper erstarrt. Dann jagte er los. Esther war vergessen.
31
13 Uhr
D ie hohen Decken schufen eine Schwimmbadakustik und hallten von allerlei Gesprächen wider. Große gräuliche Schlachtengemälde bedeckten die rot-goldenen Wände. Dies war die Royal Gallery, eine gewaltige Wabe im Bienenkorb des Westminster Palace. Sie war gefüllt mit Journalisten von überregionalen und regionalen Zeitungen. Westminster Palace an einem Samstag! Das ungewöhnliche Ereignis sorgte für allgemeine Jovialität. Die Journalisten frotzelten und tratschten untereinander. Dann brachen die Gespräche ab, und die Köpfe drehten sich zum Eingang.
Eine Schneise entstand, als alle schleunig Platz machten. Der dunkle Schleppkahn Churchill tuckerte zu einem Tisch am Ende des Saals. Begleitet wurde er von seinem Freund Sir John Langford-Holt, Abgeordneter für Shrewsbury. Am Tisch angekommen, hüstelte Langford-Holt mit vorgehaltener Hand, um die Journalisten um Ruhe zu bitten. Churchill setzte sich und überflog seine Aufzeichnungen, die Ellbogen auf die Papiere gestützt.
Die Journalisten drängten näher heran und starrten auf Churchills gesenkten Kopf. Sie starrten auf seinen kahlen rosigen Schädel. Er blickte von seinen Zetteln auf und fasste sie streng ins Auge.
»Guten Tag, meine Herren«, sagte Langford-Holt. »Willkommen in Westminster. Wir freuen uns, dass Sie es einrichten konnten, zu diesem etwas ungewöhnlichen Samstagnachmittagstermin zu erscheinen. Wie die meisten von Ihnen wissen, hat dieses Treffen heute den Zweck, offiziell bekanntzugeben, dass unser geschätzter Altpremierminister und Abgeordneter für Woodford, Sir Winston Churchill, am Montag, den siebenundzwanzigsten Juli, aus dem Parlament ausscheiden wird. Selbstverständlich wird die Presse darüber berichten, aber wir wollten diese kleinere Versammlung einberufen, um Ihnen vor dem größeren Festakt am siebenundzwanzigsten Gelegenheit zu geben, Sir Winston einige Fragen zu seiner politischen Laufbahn zu stellen.«
Man hörte Kugelschreiber auf Papier kratzen. Hände schossen in die Höhe, Fragen gab es genug. Einem der Journalisten wurde das Wort erteilt.
Er stellte sich vor. »David Fallow von der Times , Sir. Sir Winston, können Sie uns sagen, wie Sie sich in diesem Moment fühlen, wo sich Ihre glanzvolle Laufbahn dem Ende zuneigt?«
Churchill erwiderte: »Ich fühle mich geehrt, ein Teil der Geschichte dieses großen Landes gewesen zu sein, und werde stets mit tiefem Stolz an meine Zeit in der Regierung zurückdenken. Ich hoffe, dass ich dem britischen Volk gut gedient habe.«
Der nächste Journalist kam an die Reihe. »Was werden Sie jetzt mit Ihrer freien Zeit anfangen?«
»Meine Frau mit meiner unausgesetzten Anwesenheit beglücken, ob es ihr passt oder nicht«, scherzte Churchill. Gelächter erhob sich, und er schmunzelte. »Clementine ist ziemlich flink auf den Füßen, das kann ich Ihnen sagen, meine Herren. Aber irgendwann hole ich sie doch immer ein. Und mit derselben Hartnäckigkeit, mit der ich mich ihr an die Fersen hefte, hoffe ich, auch das Malen und Lesen wieder zu verfolgen.«
»Was werden Sie lesen, Sir?«
»Hoffentlich die Etiketten auf erstklassigen Weinen und Speisekarten in guten Restaurants.«
Abermals füllte Gelächter den Saal. Aus der Menge erhobener Hände wurde eine ausgewählt.
»Gibt es irgendetwas, was Sie bedauern?«
Churchill dachte kurz nach. »Tja, ich weiß nicht. Vermutlich schon. Irgendwas gibt es immer, nicht wahr? Wir treffen die Entscheidungen, die wir treffen können, aufgrund der Informationen, die wir zu dem Zeitpunkt zur Verfügung haben. Ich tröste mich mit dem Wissen, dass ich immer den Entschluss gefällt habe, der mir richtig vorkam, und zwar aus ehrbaren Gründen und eingedenk der Konsequenzen. Aber der Gang der Ereignisse wirft auch die durchdachtesten Pläne über den Haufen. Das dürfte etwas sein, was wir alle im Leben lernen. Ich habe diese Lektion auf jeden Fall gründlich gelernt.«
»Jacob McKeith vom Evening Standard , Sir. Was sind Ihrer Meinung nach die wertvollsten Lektionen, die Sie im Laufe der Jahre gelernt haben?«
Churchills Antwort kam entschieden. »Da gibt es viele. Zum einen Tapferkeit. Tapferkeit gilt zu Recht als die vornehmste menschliche Eigenschaft, weil es die Eigenschaft ist, die alle anderen bedingt. Ich habe außerdem die Liebe gelernt, und ich würde sagen, dass es meine herausragende Lebensleistung war, Clementine Hozier dazu zu bewegen, meine Frau
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