Mr Nanny
»Lassen Sie mir einen Moment Zeit zum Luftholen. Ist es wasWichtiges?« Peters Spontaneität und seine unkonventionellen Einfälle gingen mir allmählich an die Substanz. Was kam jetzt wieder? Ich ließ meine Taschen fallen, wickelte meinen Schal auf und warf ihn in den Garderobenschrank. Im Haus war es ruhig. Merkwürdig ruhig für die Abendessenszeit.
»Was ist passiert?«
»Yvette hat sich auf der Geburtstagsparty bei den Wassermans furchtbar über mich aufgeregt.«
Wir schlüpften rasch ins Arbeitszimmer, damit die Kinder nicht merkten, dass ich da war.
Peter ließ sich auf einem frisch aufgepolsterten Lehnsessel nieder. »Na ja, eigentlich ging’s schon los, bevor wir aufbrachen. Yvette hat gesagt, Sie wollen, dass die Kinder ihre grauen Sachen anziehen, Sie wissen schon, Michael das lederne Ding mit diesem bestickten Lätzchen...«
»Die Lederhose, ja, ich weiß.«
»Also, dann versuchen Sie sich jetzt mal an die Zeit zurückzuerinnern, als ich bei Ihnen anfing - ist ja noch nicht so lange her. Und an die Gespräche, die wir geführt haben. Wissen Sie noch, wie wir darüber geredet haben, dass dem Haushalt ein bisschen männlicher Input fehlt?«
Ich nickte. Er war zum Anbeißen. Heute hatte er ausgewaschene Jeans und ein dünnes, dunkelblaues, langärmliges T-Shirt an. Ich war mittlerweile so weit, dass ich Probleme hatte, ihn anzusehen. Oder nicht anzusehen.
»Würden Sie mir dann was sagen? Wieso besteht ihr Leute eigentlich darauf, eure Kinder jedes Mal wie bayerische Alpenjodler anzuziehen, wenn sie auf eine Party eingeladen sind? Michael hat ausgesehen wie ein Mädchen, und obwohl er erst zwei ist, wusste er das ganz genau. Er war wütend . Und was soll das mit diesen Kniestrümpfen mit den Quasten dran? Sie hätten uns mal sehen sollen, wie wir versucht haben, Michael in die lächerlichen Klamotten reinzubekommen - er hat geschrien und sich gewunden wie ein Aal. Das war eine Szene wie Meine Lieder, meine Träume trifft Der Exorzist .«
Ich lachte. »Peter, Sie verstehen nicht.«
»Nein, Sie verstehen nicht. Und dann komm ich zu der Party, und alle anderen Kinder haben genauso lächerliche graue Lederhosen an, und alle haben rotgeweinte Augen. Weil ihre Nannys sie ebenfalls in die Jodel-Klamotten gesteckt haben. Was ist bloß los mit euch?«
Er hatte recht. Aber alle Kinder wurden so zu Geburtstagsfeiern angezogen. Das hatte ich auf die harte Tour gelernt, als ich Dylan zu seiner ersten Kindergarten-Geburtstagseinladung begleitet hatte. Als wir fünfzehn Minuten zu spät hereinplatzten, hatten sich sämtliche Mütter zu uns umgedreht und meinen in Jeans und T-Shirt gekleideten Sohn gemustert. Es war geradezu gespenstisch.
»Ja, und was war mit Yvette?«
»Ich hab Gracie und Michael zu der Party begleitet, und als sie anfingen, Schokoladentorte zu essen, hab ich sie in Jeans und T-Shirt gesteckt. Yvette war so wütend, ich dachte, jetzt reißt sie mir den Kopf ab.«
»Ich weiß, dass Ihnen das total verrückt vorkommen muss, und, okay, das ist es vielleicht auch, aber Yvette nimmt das Aussehen der Kinder sehr ernst.«
Peter starrte mich bloß mit einem ungläubigen Ausdruck an.
Ich versuchte, es ihm zu erklären. »Jeans passen einfach nicht zu den babyblauen John-John- und Caroline-Kennedy-Wollmäntelchen mit den Samtkrägelchen.«
Keine Antwort.
»Da müssen nackte Beine unten rausschauen, verstehen Sie? Und Schuhe mit Söckchen. Genau darum geht’s . Diese Mäntel funktionieren nicht mit Jeans. Die sind für Kleider und kurze Hosen. Deshalb müssen die Jungs kurze Hosen anziehen.«
Ihm klappte der Unterkiefer herunter.
»Wegen des John-Johnnackte-Beine-Effekts«, erklärte ich.
»Erinnern Sie sich? Die Beerdigung von John F. und wie der kleine John-John im Mäntelchen salutierte? Das ist es, worum es den Müttern geht - um genau diesen Look.«
»John-John im Mäntelchen? Wann war das? Vor vierzig Jahren? Haben Sie jetzt total den Verstand verloren? Ich will nicht glauben, dass Sie sich wirklich darum scheren, ob Michael nackte Beine hat und Schuhe mit Söckchen trägt wie John-John Kennedy.«
»Natürlich schere ich mich nicht darum. Ich will Ihnen nur diesen Dresscode erklären.«
»Ich will Ihnen mal was sagen: Sie sind cool, Sie arbeiten bei einem Megasender. Sie erzählen mir, was es mit diesen Park-Avenue-Frauen auf sich hat, wie daneben die sind, dass die den Verstand an der Clubkasse abgegeben haben. Und Sie flippen aus, wenn ich Sie angeblich mit denen gleichsetze - was
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