Mrs Murphy 06: Tödliches Beileid
Murphys Literaturhinweis.
»Überall und nirgendwohin.« Mrs Murphy schnippte mit dem Schwanz.
»Fein.« Der Hund wanderte gern ziellos umher.
Sie liefen über eine frisch gemähte Heuwiese. Grashüpfer flogen auf, das leise Rasseln ihrer Flügel klang wie Tausende winziger Kastagnetten. Die letzten Schmetterlinge des Sommers schwirrten umher. Wolfsspinnen, manche mit Eiersäcken bepackt, huschten ihnen aus dem Weg.
Am Ende der Heuwiese wachte eine Reihe großer alter Hickorybäume über eine Farmstraße, die selten benutzt wurde, weil die Bowdens fünfzig Meter weiter eine bessere Straße gebaut hatten.
»Wer als Erste da ist!«, rief die Katze über die Schulter, als sie nach links schwenkte, wo die Straße zu einer tiefen Schlucht und einem Teich führte.
»Ha!« Der Hund hüpfte vor Freude und sauste hinter der Katze her.
Corgis können mit ihren kurzen Beinen erstaunlich schnell rennen, wenn sie ihren Leib zu voller Länge strecken. Da Mrs Murphy im Zickzack lief, hatte Tucker sie bald eingeholt.
»Ich hab gewonnen!«, rief der Hund.
»Bloß, weil ich dich gelassen habe.«
Sie purzelten übereinander und wälzten sich im Sonnenschein. Sie sprangen auf die Füße, rannten noch ein Stück, diesmal segelte die Tigerkatze über die Corgihündin hinweg, landete vor ihrer Nase und sprang sie dann aus der Gegenrichtung an.
Die vergnügliche Tollerei erschöpfte sie. Sie setzten sich unter einen knorrigen Walnussbaum bei einer kleinen Quelle. Mrs Murphy kletterte hinauf und wanderte anmutig auf einem Ast entlang. »He, hinter der Anhöhe ist ein Auto.«
»Kann nicht sein.«
»Wetten, dass?«
Sie rannten die kleine Anhöhe hinauf und auf der anderen Seite herunter; die Furchen in der Straße waren so tief, dass sie darin verschwanden. Mitten auf der Straße stand ein gestrandeter roter 1992er Toyota Camry, dessen Nummernschilder entfernt worden waren. Als sie näher kamen, konnten sie auf dem Fahrersitz eine Gestalt erkennen.
Tucker blieb stehen und schnupperte. »Ah-oh.«
Mrs Murphy sprang auf die Kühlerhaube und starrte hinein, worauf sich ihr das Fell am ganzen Leib sträubte. Rasch hüpfte sie herunter. »Da ist ein toter Mensch drin.«
»Wie tot?«
»Mausetot.«
»Das dachte ich mir. Wer ist es?«
»Bei dem Zustand der Leiche kann ich es nur raten. Aber es ist eine Frau gewesen. Sie hat eine blaue Spange mit Rosen drauf im Haar, kleinen gelben Plastikrosen.«
»Wir gehen am besten Mom holen.«
Mrs Murphy ging von dem Camry fort und setzte sich auf die Anhöhe. Sie musste ihre Gedanken sammeln.
»Tucker, das würde nichts nützen. Mutter versteht ja nicht, was wir ihr sagen. Diese Straße wird von den Menschen nicht mehr benutzt. Es kann Tage, Wochen oder gar Monate dauern, bis jemand diese, äh, Schweinerei entdeckt.«
»Vielleicht ist sie bis dahin bloß noch ein Gerippe.«
»Tucker!«
»Hab bloß Spaß gemacht.« Die Hündin lehnte sich an ihre liebe Freundin. »Eine kleine Aufheiterung. Schließlich weißt du nicht, wer es ist. Ich kann nicht so hoch raufgucken. Menschen begehen Selbstmord, wie du weißt. Könnte sich um so was handeln. Sie erschießen sich gern in Autos oder Hotels. Schwächlinge nehmen Medikamente, vermute ich. Ich meine, auf wie viele Arten können sie sich umbringen?«
»Jede Menge.«
»Ich bin nie einem Hund begegnet, der Selbstmord begangen hat.«
»Wie auch? Der Hund wäre ja tot.«
»Klugscheißerin.« Tucker atmete aus. »Wir sollten lieber machen, dass wir nach Hause kommen.«
Auf dem Weg über die gemähte Heuwiese sprach Murphy laut aus, was beide dachten. »Hoffen wir, dass es Selbstmord war.«
Sie gelangten innerhalb von zwanzig Minuten zur Farm und liefen ins Haus, um Pewter Bericht zu erstatten, die es nicht glauben wollte.
»Dann komm mit uns.«
»Murphy, ich latsche nicht quer durch die weite Welt. Es ist bald Zeit fürs Abendessen. Überhaupt, was bedeutet mir schon ein toter Mensch?«
»Man sollte meinen, jemand würde eine vermisste Person melden, oder?« Tucker kratzte sich an der Schulter.
»So viele Menschen leben allein, die werden eine ganze Weile nicht vermisst. Und sie ist schon ein paar Wochen tot«, erwiderte Murphy.
28
Mit rotem Gesicht, die Hände in die Hüften gestemmt, stand Little Marilyn mitten in Roscoe Fletchers Büro. Sie war genauso wütend wie April Shively.
»Händigen Sie mir die Unterlagen aus!«
April, die ihren Augenblick der Macht genoss, erwiderte kühl: »Roscoe hat mich angewiesen, diese Papiere
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