München Manhattan #1
fällt ihr auf, dass sie seit ihrer Ankunft in New York nicht mehr an Susanna gedacht hat. Wie selbstsüchtig von ihr. Da sitzt ihre Schwägerin krank vor Sorge um ihr Kind in München und sie überlegt was sie anziehen soll. Sie hätte sich melden müssen. Nicht erst Susanna.
Ärgerlich über sich selbst reißt sie ein Chloé Oberteil von der Kleiderstange und zieht sich ihre engste, szenigste Jeans an. Die Jimmy Choo Highheels für diesen Tag stopft sie schnell in einen Louis Vuitton Shopper.
Schnell die geliebten Ugg -Boots übergezogen, Mantel, Sonnenbrille, und jetzt wird es auch Zeit, zu Jean Paul zu gehen. Sonst verpasst sie noch den kostbaren Slot in seinem überfüllten Terminkalender. Bei Susanna wird sie sich von unterwegs aus dem Taxi melden.
10 MINUTEN SPÄTER.
Aber Susannas Handy ist aus und Kristin kann ihr nur eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Und nun steht sie auch schon vor Jean Paul, der wie immer aufgeregt auf sie zustürmt und ihr angedeutete Luftküsse auf beide Wangen haucht. Apropos McSexy : Jean Paul ist das krasse Gegenteil davon. Klein, zierlich und eher feminin.
„Kristin, Chérie , ich habe dich vermisst. Ich dachte schon du wärst mir untreu geworden.“
Mit gespielter Dramatik reißt er seine Arme in die Höhe und setzt sein aufgesetztes ‚Du-hast-mich-vergessen-Gesicht‘ auf. Drama Baby, Drama. Kristin ist eigentlich nicht in der Laune, dieses Theaterstück jetzt mitzuspielen, aber das gehört hier zu der Behandlung dazu. Also dann:
„Ach, Jean Paul“, sagt sie. „Wie könnte ich dich jemals vergessen. Ich würde niemals einen anderen Stylisten an mein Gesicht lassen. Glaube mir das, Darling. Ich war eine Woche nicht in der Stadt, familiäre Angelegenheiten in Deutschland.“
„Ach ja? Gute oder schlechte? Aber Chérie , nun setz doch erst einmal deine Sonnenbrille ab, damit ich sehen kann was ich heute zu tun habe.“
„Jean Paul, ich sehe etwas fertig aus, hatte schlechte Zeiten, aber du musst das wieder hinbekommen. Ich muss heute richtig gut aussehen.“
Kristin nimmt ihre Tom-Ford-ich-bin-ein-Promi-und-keiner-soll-mich-erkennen-Sonnenbrille ab. Jean Paul entweicht ein schriller Aufschrei. Mit einem Satz schnellt er von Kristin zurück. Aber nur kurz, dann mustert er ihr Gesicht ganz besonders eingehend.
„Was hast du gesagt, Kristin, du siehst ein ‚bisschen’ fertig aus? Cherie, das ist nicht ein bisschen fertig. Du siehst grauenhaft aus. Hat dir niemand gesagt, dass der Heroin- Chick -Look total passé ist? Ich weiß nicht, ob ich das in der kurzen Zeit wieder hinbekommen kann.“
Wie bitte? Sie steht hier in einem sündhaft teuren Beautysalon in Manhattan und der Stylist erklärt ihr gerade, dass sie ein hoffnungsloser Fall ist? Sie? Schluss mit dem Theaterspielen. Kristin langt es. Ihre Antwort ist bemüht liebenswürdig aber unterkühlt.
„Jean Paul, Darling. Du behauptest doch immer, dass du aus jeder Frau eine Schönheit machen kannst, wenn man dich nur lässt. So. Hier bin ich und zahle ein kleines Vermögen. Ich erwarte von dir, dass ich danach blendend aussehe. Also mach dich bitte an die Arbeit.“
„Bist du jetzt sauer? Man wird ja wohl noch mal irgendetwas sagen dürfen.“
Jean Paul macht sich leicht beleidigt an die Arbeit.
Die restliche Zeit schweigen beide. Er macht seinen Job, und Kristin hängt ihren Gedanken nach. Und die landen wieder bei dem pinkfarbenen Post-it.
Ist der Zettel von Charlotte? Und wenn ja, was meint sie bloß mit ‚Du solltest deinen Entschluss besser nochmal überdenken’?
Was meint sie mit besser ? Ist das eine Drohung?
Da kommt ihr ein Gedanke.
Sophie soll das für mich rausbekommen. Nachdem was passiert ist, ist sie mir sowieso noch etwas schuldig. Wenn ich hier fertig bin, schreibe ich ihr eine SMS.
***
LÜGEN HABEN KURZE BEINE
MÜNCHEN. MONTAG 17 UHR
„Es gibt so Tage. Da läuft einfach nichts. Gar nichts. Alles ist nur halb angefangen, nichts klappt, für alles und jedes ist man zu spät.“ Sophie seufzt. Sie telefoniert mit Susanna und sitzt in der Autowerkstatt. Gestern Abend ist ihr auf dem Rückweg vom Krankenhaus mal wieder das Auto liegengeblieben.
„Aber was rede ich da. Das sind ja alles nur Nebensächlichkeiten“, sagt Sophie zu Susanna. „Ich wollte eigentlich nur kurz hören ob ich dir irgendwie helfen kann. Vielleicht möchtest du mal ein paar Stunden nach Hause gehen und dir neue Klamotten holen, in Ruhe duschen? Das wäre doch sicher kein Problem für
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