Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Zeit verschwenden. Hallo, Mittagessen!«
Sie schnalzt laut mit der Zunge.
Meeresfrüchte, gebratenen Oktopus und Fleisch, das ich keinem Tier zuordnen kann: ganz erstaunlich, was zum Lunch aus der schmalen Mini-Kombüse serviert wird.
» Kristin, hier können wir alles essen.« Ich denke an die Viecher im Reisfeld. » Im Meer gibt’s keine Ratten.«
» Wohl, Wasserratten!« Jana will Kristins Abscheu wohl noch verstärken.
» Das sind doch keine richtigen Tiere.« Harald lugt unter der Sonnenplane hervor und doziert Richtung Jana. » Wasserratten sind eine biologisch ungenaue Bezeichnung für verschiedene Nagetier-Arten.«
» Na dann.« Kristin wirkt nicht beruhigt, sie isst nur Reis.
Antjes Haare sind noch nass. In ein Handtuch gehüllt, schlängelt sie sich zu uns durch.
» Ihr könnt euch gerne den Magen vollhauen, ich will nix. Nicht, dass sich meine Rettungsringe direkt wieder aufblasen.«
Sie fährt sich über den flachen Bauch und tut so, als hätte sie einen Scherz gemacht.
» Hey Antje, du könntest bei Heidi Klum in der Show mitmachen«, urteilt Kristin.
» Oh, danke!«
» Klar doch, als Germany’s Next Top Moppel!«
» Wieso«, fragt Harald arglos, » sie ist doch gar nicht dick.«
» Doch!«, entgegnet Antje entschieden.
Harald schaut verständnislos, hält aber die Klappe.
Die Crew wirft eine schwimmende Bar ins Wasser, die aussieht wie ein LKW -Reifen, an dessen Seiten Schnapsflaschen festgeschnallt sind. Die ersten Urlauber hüpfen hinterher.
» Hm, harte Sachen in der Mittagshitze?« Ich lote Kristins Verfassung aus.
» Das wäre unfair. Den Asiaten fehlt doch das Gen, das den Alk abbaut.«
Der Bootsbuddha krakeelt ins Mikro.
» Jump in and driiink!«
» Och nö.« Harald ziert sich.
» Willst du nicht trinken?«
» Nee, nicht schwimmen. Sonst wird doch meine Badehose nass.«
Damit meine Schwestern mich nicht bei Mutti anzeigen, lasse ich mich nicht zum Saufen drängen. » Wir sind doch hier nicht am Ballermann!«
» Na und, ist doch nur Spaß. Oléolé!« Kopfüber hechtet Kristin ins Wasser.
Nö, jetzt habe ich keine Lust mehr.
Meine Unterarme liegen auf der warmen Reling, mit geschlossenen Augen stehe ich am Bug. Das kraftvoll helle Blau des Himmels leuchtet selbst durch meine Lider. Ich strecke mich etwas in die leichte Brise, der Geruch von Seetang kitzelt in meiner Nase. Sonnenbaden ist hier nur im Stehen möglich, für Liegen wäre ohnehin kein Platz. Dafür brabbelt die asiatische Hundertschaft angenehm leise vor sich hin. Triefend nasse Taue klatschen gedämpft an den Rumpf.
» Partyyy!«
Der Schrei heult wie eine Schiffssirene übers Deck. Ich ahne es schon: Gleich wird erbarmungslos das »Live-Entertainment« starten, das im Flyer als Highlight angepriesen ist. Nicht dass ich ein Wasserballett erwarten würde oder eine Show mit synchron springenden Delfinen. Ich denke mal, die lassen jetzt den asiatischen Jürgen Drews aus dem Maschinenraum frei.
Oh nein, es geht noch einfacher: Der Bootsbuddha hat sich eine Tiger-Badehose angezogen und einen Mopedhelm aufgesetzt. Das Mikrofon hält er fest wie eine Trophäe, seine Wampe glänzt in der Sonne. Mit diesem Outfit endet allerdings schon die Belustigung seitens des Veranstalters. Denn jetzt sollen die Gäste singen, typische Volkslieder ihres Landes, sozusagen die Nationalhymnen der Urlauber. Ah ja, sollen sich doch die Amerikaner zum Affen machen, die haben schließlich in Vietnam noch etwas gutzumachen. Als Erstes sind es aber zwei halbhübsche Australierinnen, die auf die kleine Freifläche am Bug schlappen und spontan » Waltzing Matilda« ins Mikro schmettern. Applaus, ja, die sind echt locker.
» And now … our Winners … Germany!«, verkündet der Bootsbuddha aufgekratzt. Er lässt keine Zweifel offen: Nun will er den deutschen Beitrag hören.
Schlagartig wird mir bewusst, dass nur wir fünf in Betracht kommen. Was umso blöder ist, weil wir doch gar nichts vorbereitet haben. Wir, wieso ausgerechnet wir? Wir sind doch die »Winner«! Wo sind die deutschen Urlauber, wenn man sie mal braucht? Ich signalisiere dem Spektakel-Vorsitzenden ein kurzes » Time Out«. Was sich als Fehler herausstellt, verdammt, jetzt weiß er ganz genau, wo seine Zielgruppe steht. Ach so, das wusste er ja schon vorher.
Es ist ein Boot, wir können nicht entkommen.
» Und wenn wir ihm einfach sagen, dass wir beim Eurovision Song Contest schon seit Jahren nichts mehr gerissen haben?« Ich bin nervös, versuche aber trotzdem
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