Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
Vom Netzwerk:
freundliches Lachen beschränke. Und es dennoch immer wieder versuche. Weil es sich gut anfühlt. Vielleicht genießt Levi, dass ich nicht nur mit ihm auf seine Art spreche?
    Mit dem Wunsch, dass das besondere Verständnis und die intensive Kommunikation, die hier in der Transsib zwischen Levi und mir möglich sind, nicht verkümmern mögen, je mehr Worte Levi lernt, schlafe ich ein.
    Nachtgespräch
    Es ist stockdunkel. »Luft«, denke ich. Und: »Raus!« Mein iPhone zeigt 1.03 Uhr. Hat es jetzt endlich auf Ortszeit umgestellt? Trotz der guten Netzabdeckung hat es das Umstellen der Zeit bisher verweigert. Oder ist es ein Uhr nachts in München? Und wo sind wir überhaupt?
    Gegen halb neun Uhr Münchner Zeit hatte ich mich zu dem tief schlafenden Levi auf die Pritsche gekuschelt.
    Meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt, und der Blick aus dem Fenster zeigt die Umrisse von sich im Wind hin und her wiegenden Birken.
    Keine Überraschungen also. Gut.
    Meine Nase registriert einen neuen Geruch. Süßlich-beißend. Auf keinen Fall lecker. Der war doch gestern noch nicht da? Ich schnüffle an meinen Kleidern, an Levi, unseren Schuhen, an mir: negativ. Also raus. Bei offener Abteiltür fühle ich mich schon besser. Aber der Geruch nimmt zu. War eigentlich klar, dass vier Garküchen irgendwann Duftspuren hinterlassen. Levi und ich sind die einzigen Restaurantbesucher des Waggons Nummer 7. Unsere Mitreisenden versorgen sich mit am Bahnsteig erworbenen Blinis und Äpfeln und mitgebrachtem Proviant. Sowohl in Ritas Abteil als auch bei der Teenagerfamilie thronen Gaskocher auf dem kleinen Tischchen unter dem Fenster. Bei uns stehen da zwei Babyflaschen, meine Thermostasse, eine Wasserflasche, ein Transsibreiseführer, ein Schnuller und Harry, der blaue Schnullerhase.
    Die Uhr oberhalb der Tür zum Toiletteneck zeigt 4.17 Uhr Moskauer Zeit. Die wird unabhängig von der Zeitzone, in der wir uns tatsächlich befinden, im Zug und auf den Bahnsteigen, an denen wir ankommen, angezeigt. Das Zugrestaurant operiert selbstverständlich nach Moskauer Zeit: Das bedeutet bei fünf Stunden Zeitunterschied zwischen Moskau und Irkutsk, dass es, je näher wir dem Baikalsee kommen, im Restaurant erst Frühstück gibt, wenn mir eigentlich schon der Sinn nach Mittagessen steht. Aber gut. Russland ist halt immer noch ein zentralistisch organisierter Staat.
    Ich klemme meinen Rucksack zwischen Tischchen und Bank, auf der Levi schlummert, hoffe, dass dieses Provisorium meinen im Zug erstaunlich ruhig schlafenden Sohn vor einem Sturz auf den immer noch sehr sauberen Teppich bewahrt, öffne ein Fenster auf dem Gang, schließe es wegen des Lärms wieder, greife meine Thermostasse und blicke in den Samowar wie in den Schlund eines schnarchenden Drachen. Paul Theroux hatte schon 1965 berichtet, dass die glühenden Kohlen unterhalb des Samowars nicht nur das Wasser zu Trinkwasser kochten, sondern auch die Heizung im jeweiligen Waggon befeuerten. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Olga ist somit neben Sicherheit und Sauberkeit auch für die Trinkwasserversorgung und die angenehmen Temperaturen im Waggon zuständig. Für unser gesamtes Wohlbefinden, denke ich und erhöhe gedanklich das Trinkgeld noch mal, als sich die Tür des winzigen Abteils gegenüber dem Samowar öffnet und Olga in Surfershorts und pinkem T-Shirt fragt: »Alles okay?«
    Auf dem Klapphocker gegenüber dem Abteil mit den Plätzen 21, 22, 23 und 24 berichtet Olga flüsternd in einem Gemisch aus Russisch und Deutsch, dass sie Waggonschaffnerin sei, um ihr Studium zu finanzieren. An der Universität in Irkutsk. »Bewegungstechnik«, sagt sie und schaut mir ernst in die Augen. Sie ist neunzehn Jahre alt. Wie sie nach dem Studium leben möchte, frage ich. Ihre Augen fokussieren meine. Ihr Blick ist wach, obwohl es mitten in der Nacht ist. »Gute Arbeit. Und reisen. Viel mehr noch sagen. Aber gute Arbeit und Reisen wichtig.« Sie sitzt die ganze Zeit kerzengerade mit viel Körperspannung vor mir und wirkt doch entspannt.
    »Ruski« , sage ich, um sie zu ermuntern, auf Russisch zu antworten. Aber das will sie nicht. »Guter Plan«, sage ich stattdessen.
    »Warum du zum Baikal? Mit Levi?«, fragt Olga und schaut mich weiterhin mit ihren wachen, beruhigenden Augen an, die mich an die Augen der Mongolen aus den Reiseführern erinnern – überhaupt hat ihr Gesicht mongolische Züge: hohe Wangenknochen, volle Lippen, nach oben gebogene Augen, nur hellgrün statt braun.
    »Wir fahren

Weitere Kostenlose Bücher