Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)
Touren!«, fährt Song Li fort. »Um selbst zu malen.«
»Was empfiehlst du uns?«, frage ich Song Li zum Abschied, aber sie zuckt nur mit den Achseln.
Ich studiere die am Infopoint erstandene Karte zum Künstlerdorf Song Zhuang und wage einen zweiten Versuch: »Was hältst du von der Sunshine Gallery oder dem Harmony and Tranquility Art Museum?« Dabei zeige ich auf die zwei Orte in der Karte. »United Nations Model Award« steht oben drüber. 2008. Ist noch nicht so lange her.
Sie schaut mich fragend an.
Gibt es in der chinesischen Sprache kein Äquivalent für »Empfehlung«? Oder hat man in China besser keine empfehlenswerte Meinung? Wäre ja irgendwie auch verständlich. Zumindest bei regimegeförderten Künstlern. Mann, wie naiv bin ich eigentlich.
Also laufen wir einige Minuten die Song-Zhuang-Autobahn entlang, stolpern in die wenigen offenen Galerien hinein und erschrecken damit jedes Mal die Person, die in ihr Telefon versunken den ansonsten ereignislosen Arbeitstag vorüberziehen lässt.
Zu Fuß durch Künstlerdörfer zu schlendern und ohne Termin irgendwo aufzuschlagen scheint ein westliches Phänomen zu sein. Irgendwann haben wir einige Kunstobjekte gesehen, die uns zum Lachen oder Diskutieren angeregt haben, schwere Füße, staubige Kleider und Durst. Da unser Maserati nirgends zu sehen ist, halten wir eine dreirädrige Mopedrikscha an und wollen zum größten Punkt auf der Karte: dem Harmony and Tranquility Museum. Letzter Versuch.
»Wohin?«, fragt unsere Rikschafahrerin.
Wir lotsen die Dame über sandige Schotterpisten, vorbei an einem kleinen Teich, an dem mehrere Menschen Angeln ins Wasser halten, um nach mehreren Stopps, bei denen unsere Pilotin mit Passanten diskutiert, vor einer verschlossenen Halle zu stehen.
Zu dritt liegen wir in einer Kapsel aus Geflecht und weichen Kissen. Über uns tanzen weiße Tücher im warmen Wind, der das pulsierende Nachtleben zwölf Stockwerke unter uns gedämpft herbeiweht. Die Kellnerin bringt leckere Kleinigkeiten und sagt, nachdem sie den schlafenden Levi fotografiert hat: »Ihr habt wirklich Glück! Der Himmel über Peking ist selten so blau und klar wie in dieser Woche.«
Ich muss lachen. Irgendwie ist sowieso alles anders als erwartet in Peking. Und das ist anstrengend. Aber auch gut. Passend. Passend zu mir. Ich will ja nicht auf dem Sofa enden und die Füße hochlegen. Aber die Gefahr besteht hier in Peking wirklich nicht. Wenn irgendwo alles im Fluss ist, dann hier. In einem reißenden Fluss. Ich kann nicht sagen, ob Peking mir gefällt oder nicht. Aber es fordert mich heraus. Und das ist gut so.
Art District 798: Chinesische Kreativität
Wir sitzen zu dritt auf der Rückbank eines Taxis und japsen nach Luft. Der Dunst hat Peking wieder fest im Griff und uns kalt erwischt. Levi hüstelt ununterbrochen, und ich muss mich jogimäßig auf meine Atmung konzentrieren. Ein Mantra hämmert durch meinen Kopf: Luft kann nicht zu dick zum Atmen sein.
Aber: Wie viel Sauerstoff ist in dieser grauweißen Pampe aus Hitze, Staub und Abgasen eigentlich?
Der Art District 798 ist ein von einer deutschen Autofirma und anderen großen Unternehmen gesponsertes, von der Architektur des Bauhauses inspiriertes riesiges modernes Kunstprojekt. Es erstreckt sich über zwei Straßenzüge des Dashanzi-Viertels Pekings. Auf diesem ehemals staatlichen Fabrikgelände leben und arbeiten seit 2002 immer mehr Künstler und Architekten. Das Viertel ist Heimat zahlreicher Designstudios, Galerien, Restaurants, Bars und kleiner Shops. Auf der dazugehörigen Internetseite fallen Begriffe wie sohoesque und loftliving .
Nach Atem ringend, laufen wir im Schwarm riesiger Menschenmassen durch die von aus Beton und rotem Ziegel gebauten Fabrikgebäuden geprägten Straßenzüge. Immer wieder durch lautes Autohupen dazu genötigt, noch enger zusammenzurücken und uns an die Backsteinwände zu drücken, denn: Nicht alle Chinesen lassen sich wie wir zu Fuß treiben und von ihrer Intuition in die unterschiedlichen Ateliers spülen. Manche haben einen Plan. Fahren vor, steigen aus, besichtigen, steigen wieder ein und brausen weiter. Es scheint akzeptiert – oder einfach schlau –, dass der Stärkere, in dem Fall die Autos, Vorfahrt genießen. Hupen reicht, gebremst wird nicht, die Fußgänger hüpfen.
Die gehetzten Menschen um mich herum und die Enge drohen mich zu sprengen. Es hilft nur eines: Pause. Und was essen. Das in einer industriellen Lagerhalle untergebrachte Restaurant serviert
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