MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
vor ihm zurück und wurde kleiner. Als Niko den ersten Schritt nach vorne machte, löste sich die Starre in seiner Hand. Er streckte den Arm aus und richtete die Spitze des Schwertes direkt auf den Kopf der giftigen Natter. Die Worte kamen wie von selbst über seine Lippen: »Dem großen Auftrag mit aller Kraft, ich dien ihm mit Herz und mit Willen. Die Not ich seh, den Weg ich geh, mein Schicksal will ich erfüllen.«
Noch während Niko den Spruch murmelte, wurde die Schlange kleiner und kleiner. Als sie ihre ursprüngliche Größe wieder angenommen hatte, gab sie ihre Angriffshaltung auf, fiel in sich zusammen und schlängelte sich rasch davon. Nur Augenblicke später war sie irgendwo im Höhlendunkel verschwunden.
Geräuschvoll ließ Niko die Luft durch die Lippen strömen. Auch wenn er noch nicht richtig begreifen konnte, wie ihm geschehen war, verspürte er neue Zuversicht. Beschwingt eilte er auf das Haupt des Weisen zu, um die Kette von seinem Hals zu lösen. Als er sie hochhob, leuchtete die Gravur auf dem Anhänger hell im Dunkel der Höhle auf - das Zeichen des unerschrockenen Mutes.
Niko spürte, wie ihn ein warmes und überraschendes Glücksgefühl durchströmte. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er sich zuletzt so befreit gefühlt hatte. Rasch steckte er die Kette in die Tasche seines Gewandes und wollte die Höhle verlassen, aber da fiel sein Blick auf das Buch, das neben dem silbernen Kessel auf dem Tisch lag. Der Foliant kam ihm merkwürdig bekannt vor, auch wenn das völlig unmöglich war. Und dennoch …
Wie von einer unsichtbaren Macht geleitet, ging Niko darauf zu und erkannte sofort, dass er sich nicht getäuscht hatte. Der Einband bestand aus braunem Leinen, und die Vorderseite wies eine deutlich erkennbare Prägung auf: die Mannaz-Rune - oder das Zeichen der Unsichtbaren, wie es in Mysteria genannt wurde.
»Aber...« Ohne es zu merken, schüttelte Niko den Kopf. »Das ist doch nicht möglich.« Als er das Buch aufschlug, fing sein Herz wieder an zu klopfen: »Meine Aventurien in Mysteria« lautete der Titel und »Von Nebelsteinen, Feuertoren und erschröcklichen Kreaturen« der Untertitel. Auch alles Weitere war genauso wie in dem Buch, das er in Schreibers Antiquariat am Falkenturm entdeckt hatte: »Aufgezeichnet nach einer wahren Begebenheit«. Und der Name der Autorin war ebenfalls derselbe: Karin Seikel.
Niko war fassungslos. Er wollte gerade die nächste Seite aufschlagen, als er ein seltsames Brausen hörte, das wie aus weiter Ferne heranklang, dann immer lauter wurde und immer näher kann. Gleich darauf schlängelte sich ein schwarzes Etwas durch das Loch in der Höhlendecke, sank zu Boden und wurde zu einem Wirbel aus winzigen schwarzen Zeichen und Buchstaben, aus dem sich in Windeseile die Gestalt einer Frau formte. Sie hatte wirr abstehende Haare, trug ein eng anliegendes schwarzrotes Gewand und hatte die schmalen Reptilienaugen starr auf ihn gerichtet.
Niko begriff sofort: Das war Sâga, die Schwarzmagierin! Noch im gleichen Moment fuhr er herum und ergriff die Flucht.
So langsam machte Ayani sich doch Sorgen. Wo Niko nur blieb? Die Höhle zu durchsuchen, konnte doch unmöglich so lange dauern. Aber kaum wollte sie selbst aufbrechen, um ihn zu suchen, da gellten laute Schreie an ihr Ohr.
Niko stand im Höhleneingang, hielt das Schwert in der einen Hand und winkte ihr mit der anderen zu. »Komm schnell, Ayani! Sâga hat mir die Kette wieder entrissen! Du musst mir helfen. Alleine schaffe ich das nicht!«
Ohne lange zu überlegen, sprang Ayani auf, griff sich ihr Schwert und hetzte zum Höhleneingang. Als sie dort ankam, war Niko schon wieder verschwunden. Nur seine Schritte waren noch zu hören. Er schien es mehr als eilig zu haben, und so stürmte sie, so schnell sie konnte, hinter ihm her.
Beim Anblick von Sâgas unheimlicher Wirkungsstätte blieb Ayani unwillkürlich stehen und blickte sich staunend um. Aber Niko stand schon am anderen Ende der Höhle und fuchtelte aufgeregt in Richtung eines schmalen Durchlasses. »Wir müssen da rein, schnell!«, schrie er ihr zu. »Sie hat sich mit der Kette dorthin geflüchtet.« Sprungartig verschwand er im Dunkel des schmalen Ganges.
Ayani rannte ihm fast blindlings hinterher, stand nur Sekunden später in der angrenzenden Felsenkammer - und zweifelte augenblicklich an ihrem Verstand: Niko hockte nämlich an Händen und Füßen gefesselt an der gegenüberliegenden
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