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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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«Du, bei uns isst man a Hendl mit den Fingern.»
    «Alles klar!», rufe ich etwas lauter als nötig und reiße voller Elan einen Schenkel aus dem Hähnchen, dass das Fett nur so spritzt. Doch er ist so heiß, dass ich ihn sofort wieder fallen lasse. Auf meine Jeans.
    «Sieghst, wennst jetz a Lederhosn ohättst, war des hoib so wuid», frotzelt der Typ von der Seite.
    «Ah geh», sage ich und ignoriere den Fleck. «Des passt scho.»
    Er nickt und wendet sich wieder ab.
    «Du hast ja gerade Bairisch gesprochen», bemerkt Roni verwundert.
    «Freilich», antworte ich. Allmählich beginnt mir das Oktoberfest zu gefallen. Unter dem Deckmantel des Karnevals wird fast jede Bemerkung als Scherz aufgefasst. Da kann ich ja nicht viel falsch machen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir inzwischen bei der dritten Maß angekommen sind.
    Jochen beobachtet Huberfranzl, der soeben seine Schnupftabakdose gezückt hat und eine große Prise braunen Pulvers in die Kuhle zwischen Daumen und Zeigefinger häuft. Dann reibt er sich den ganzen Haufen ins rechte Nasenloch. Jochen starrt ihn gebannt an. Nach wenigen Sekunden kräuselt sich die Nase des Zwirbelbärtigen, die Flügel beben. Jeder normale Mensch würde an dieser Dosis ersticken. Er nicht. Routiniert zieht Huberfranzl den Schnupftabak hoch, seine Augen werden rot und feucht. «Ich dachte immer, man müsse danach niesen», sagt Jochen.
    «Naa», erwidert der Schnupfer, «du muasst ja aa ned noch jeda Zigarettn huastn.»
    «Mogst aa amoi?», fragt er Jochen.
    «Ich bitte darum!»
    Huberfranzl zeigt Jochen, wie er den Daumen abspreizen soll, damit die Sehnen eine Kuhle bilden. Dann schüttet er ihm eine ordentliche Portion braune Tabakbrocken auf die Hand – deutlich mehr, als er selbst genommen hat. «Des muasst aaf ons wegziagn», rät er. Jochen nickt, hebt die Hand unter seine Nase und reibt sich den Haufen mit aller Gewalt auf das Areal zwischen Oberlippe und Nase. Er zieht und zieht. Und zieht.
    Dann dreht er die Augen gen Himmel, legt den Kopf in den Nacken, rollt ihn nach links, rechts, knackt mit den Halswirbeln. Seine Augen röten sich. Die Schnupftabakreste haben einen daumendicken braunen Balken unter Jochens Nase gemalt. «Wie der Hitler», staunt Roni. Die Obrigkeit nickt betreten. Kurz darauf wird Jochen von einem brüllenden Nieser auf die Tischplatte geworfen. Roni reicht ihm ein Taschentuch. Nachdem er sich geschnäuzt und des Nazibärtchens entledigt hat, bemerkt Jochen mit österreichischem Akzent: «Desen Kompf hobe ich wohl verlorrren!»
    Darauf stoßen wir an. Als wir die Krüge absetzen, lege ich meine Hand versehentlich auf Ronis. Die zieht ihre nicht sofort weg.
    In der Zeltmitte wird inzwischen ordentlich gefeiert. Dort sitzt niemand mehr. Die Leute sind aufgestanden, tanzen auf und zwischen den Bänken, grölen alte Udo-Jürgens-Schlager oder Neue-Deutsche-Welle-Hits. Eigentlich sollte ich mich allmählich mit Jochen ins Getümmel stürzen. Gerade jetzt, wo ich Roni doch endlich näherkomme!
    Aber Jochen beachtet mich sowieso nicht, weil er und Huberfranzl sich noch ein Näschen Schnupftabak genehmigen. «Amoi», erzählt der Chef der Obrigkeit, «hod ma mei Bua Zimt ins Schmalzlerdoserl gfuit.» Jochen schaut ihn ungläubig an. «Du konnst da ned vorstellen, wia des brennd. I hob sogar ins Krankenhaus fahrn müssn.»
    «Ich schätze mal, sie haben dir die Stirnhöhle ausgespült und Wattestöpsel reingesteckt», ergänzt Jochen. Huberfranzl schaut ihn ungläubig an, Jochen nickt. Quer über den Tisch umarmt einer den anderen wie einen verloren geglaubten Bruder.
     
    Noch eine Maß später: Jochen hält seinen Sitznachbarn eng umschlungen und schunkelt hin und her. Ich habe in all dem Trubel Besseres zu tun: Händchen halten mit Roni. Wie selbstverständlich greifen unsere Finger ineinander, lösen und finden sich wieder. Ich kann vor Glück gar nicht aufhören zu grinsen. «Darauf habe ich lange gewartet», sage ich. Roni kann mich nicht verstehen, aber sie scheint es mir von meinen Lippen abgelesen zu haben und lächelt ihr Julia-Roberts-Lächeln. Ihr Mund formt langsam und deutlich die Worte «Ich auch». Dann beugt sie sich vor und ruft mir ins Ohr, wie sehr sie sich auf unser gemeinsames Wochenende freue. In diesem Moment könnte ich vor lauter Glück die Welt aus den Angeln heben.
    Knoll, der in der vergangenen halben Stunde immer wieder in eine Art Sekundenschlaf gefallen ist, schreckt hoch. «Jetzt gemma aber boid amoi hoam», sagt er

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