Nach dem Amok
mauert.«
»Es wird halt viel geredet«, erbarmt sich nach weiterem Schweigen dann endlich Sascha.
Es muss ihm sehr schwergefallen sein, den ersten Schritt zu machen, denn er checkt unsicher die ganze Klasse ab, will anhand der Mimik der anderen offenbar deren Reaktionen einschätzen, seine Stimme ist etwas belegt, er muss sich räuspern.
»Irgendwer hat behauptet, Maike hätte vom Plan ihres Bruders gewusst, und, na ja, Sie wissen ja, wie Gerüchte sind. Es gibt immer jemanden, der sie glaubt und weiterverbreitet.«
»Und mit fiesen erlogenen Details ausschmückt«, ergänzt Charlotte.
Sie greift unter dem Tisch nach meiner Hand und drückt sie. Ich hatte schon fast vergessen, dass wir vor ein paar Monaten so etwas wie Freundinnen gewesen sind.
Ich sehe Charlotte dankbar an. Ihre Hand ist trocken und fest. Ich möchte diese Hand nie mehr loslassen, sie fühlt sich stark an, unzerstörbar. Solange sie meine umschlieÃt, bin ich in Sicherheit.
»Also, ich glaube das nicht, was über Maike erzählt wird«, mischt sich Svea ein, die sonst nur dann etwas sagt, wenn sie direkt gefragt wird. »Gestern hat jemand behauptet, sie hätte den Amoklauf mitgeplant. Die ticken doch alle nicht mehr richtig!«
Die Marberg wirkt entsetzt über das, was sie da zu hören bekommt.
»Wer hat so etwas behauptet?«, will sie wissen.
»Ãhm, ich kannte die alle nicht«, sagt Svea und wird rot. Lügen kann sie fast ebenso schlecht wie aus Eigeninitiative ein Gespräch beginnen.
»Um Himmels willen, Kind, rede doch!«, insistiert die Marberg.
Das Kind müssen alle über sich ergehen lassen, von denen sie etwas erwartet oder die sie trösten möchte. Kind, du kannst die Aufgabe lösen, du musst es nur versuchen. Alles halb so schlimm, Kind, lass liegen, das fegt der Hausmeister nachher auf. Ach, Kind, wenn du dich nur ein bisschen mehr konzentrieren würdest. Normalerweise grinsen dann alle und können sich das Kichern kaum verkneifen. Aber jetzt grinst niemand.
»Die waren ein bisschen jünger, vielleicht aus der Achten«, quält sich Svea weiter.
Ich kann verstehen, dass sie keine Namen preisgeben will. Wenn herauskommt, dass sie gepetzt hat, wird man sie ganz schnell mit mir in einen Topf werfen. Und schon haben nicht zwei, sondern drei Leute die Sache geplant: David, ich und Svea.
»Das bringt doch alles nichts«, versuche ich, Svea aus ihrer unangenehmen Lage zu befreien. »Die hören bestimmt schon bald mit ihren Behauptungen auf. So ist das eben mit Gerüchten. Nächste Woche haben sie wieder ein anderes Thema.«
Die Marberg will etwas erwidern, wird jedoch von der Pausenklingel daran gehindert. Ich greife nach meinem Rucksack und beeile mich, den Saal zu verlassen.
»Maike, bleib bitte noch einen Moment«, ruft mir die Marberg zu. Sie fängt dabei meinen Blick ein, und ich kann leider nicht so tun, als hätte ich ihre Aufforderung nicht gehört, denn ihre grün umrandeten Augen halten meine eigenen erfasst und ketten sie an den Raum, dulden keinen Widerspruch.
Sie wartet an ihr Pult gelehnt, bis die gesamte Klasse den Saal verlassen hat, und mustert mich weiterhin eindringlich. Ich stehe neben ihr und fühle mich schrecklich unwohl.
»Woher kommen plötzlich diese Gerüchte, Maike? Hast du dafür irgendeine Erklärung?«
Ich zucke mit den Schultern. Ich will nicht mit der Marberg darüber reden, auch wenn sie es sicher nur gut meint. Die Leute in meiner Klasse benehmen sich mir gegenüber zwar unbeholfen und verlegen, halten aber offenbar noch zu mir. Und sie scheinen auch nicht zu denken, dass ich eine Petze bin. Trotzdem könnten die Einmischungen der Marberg nach hinten losgehen. Wenn sie die Gerüchte auch anderweitig thematisiert, gegenüber Lehrerkollegen oder in anderen Klassen, dann macht sie alles nur noch schlimmer. Entweder meinen die Leute dann, dass ich mich bei irgendeinem Pauker ausgeheult habe, oder sie erfahren erst dadurch von den Gerüchten und es wird in der Folge noch mehr getratscht als ohnehin schon.
Die Marberg nimmt mein Schulterzucken nicht einfach hin. Sie dreht einen Kuli zwischen den Fingern und ist sichtlich aufgebracht.
»Ich werde deine Eltern zu einem Gespräch bitten.«
»Nein! Nicht meine Eltern!«
»Doch, Maike, ich halte das für notwendig.«
»Sie verstehen das nicht! Meine Eltern haben genug Probleme.«
Ihr
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