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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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könnte ich fragen, die würde zumindest nicht lachen. Aber sie würde es den anderen erzählen und das will ich nicht. Die haben das erste Mal alle schon hinter sich. Wahrscheinlich glauben sie das auch von mir. Sie meinen immer, ich hätte schon alles erlebt, weil ich die Dinge irgendwie anders anpacke als sie. Direkter.«
    Wir sitzen auf den Schaukeln eines Spielplatzes in der Nähe von Kims Haus. Kinder sind hier nirgendwo zu sehen, wahrscheinlich sind alle Hauseigentümer mit minderjährigem Nachwuchs derzeit im Osterurlaub.
    Â»Bist du sicher, dass die es alle schon hinter sich haben? Vielleicht behaupten sie es nur.«
    Â»Kann sein. Bei Jessi wäre das möglich, vielleicht auch bei Sabine. Aber ich mag das nicht, diese Schwindelei. Wenn mich jemand direkt danach fragen würde, dann würde ich die Wahrheit sagen.«
    Sie schüttelt Haare aus ihrer Stirn, mit einer ruckartigen Kopfbewegung, aber dann muss sie doch mit den Fingern nachhelfen.
    Â»Du hast eine komplizierte Frisur«, grinse ich.
    Â»Ja«, seufzt sie. »Aber ich will nicht das, was alle haben. Und ich will nicht färben, das nervt. Da bleibt dann nicht mehr viel an Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung.«
    Â»Du könntest dir eine Glatze rasieren.«
    Â»Eine Glatze ist nicht originell. Eine Glatze ist nur der Verzicht auf jegliche Entscheidung bezüglich einer Frisur.«
    Â»Du meinst, Glatzen sind feige?«
    Â»Jawohl«, kichert sie. »Aber lenk nicht ab. Wie ist das denn jetzt mit dem ersten Mal?«
    Â»Ich glaube, das ist bei jedem anders.«
    Â»Du bist keine große Hilfe.«
    Â»Ich überlege mir eine gute Antwort, versprochen. Aber ich habe ja wohl noch ein Weilchen Zeit dafür. Bis du eine Lehrstelle hast, mindestens. Vorher passiert dein erstes Mal ja sowieso nicht, und wer weiß, ob du dann als alte Jungfer überhaupt noch einen abkriegst.«
    Kim springt von ihrer Schaukel und schubst meine so heftig an, dass ich beinahe herunterfalle. Ich schlenkere schief nach links vorne, die Ketten drehen sich in meinen Händen, dann schlingert die Schaukel zurück nach hinten, Kim schubst erneut an.
    Â»Hör auf!«, schreie ich und muss schon wieder grinsen.
    Dabei werde ich unaufmerksam, kippe prompt bei der nächsten Vorwärtsbewegung vom Sitz und lande im Sand. Scheuernde Sandkörner verirren sich in meine Augen und in meinen Mund. Die leere Schaukel saust nur knapp über meinen Kopf hinweg, und Kim steht dahinter, mit komplizierter Frisur und dunkelblauen Augen, die vor Lachen kaum zu erkennen sind.
    Zu Hause bei ihren Eltern werden wir schon zum Abendessen erwartet. Sie haben nicht nur immer Eistee da, sondern auch immer etwas zu essen. Kims Vater kocht leidenschaftlich gerne. Ihre Eltern waren, als sie mich kennenlernten, beide sehr herzlich zu mir und bestanden darauf, dass ich sie Ramona und Stefan nenne. Auch bei meinen Besuchen in den Tagen danach hat sich nichts an ihrer Herzlichkeit geändert.
    Â»Habt ihr Hunger?«, fragt Ramona.
    Stefan hat panierte Schnitzel gemacht. Es sind nicht irgendwelche Schnitzel, er kriegt die Panade so kross hin, dass man denkt, er hätte ein Geheimrezept. Vielleicht hätte er Koch werden sollen und nicht Augenoptiker. Ich kann ihn mir in diesem trockenen Beruf überhaupt nicht vorstellen, aber er sagt, ein Beruf sei immer nur so langweilig wie derjenige, der ihn ausübt.
    Wir setzen uns an den Tisch. Zu den Schnitzeln gibt es Rosmarin-Pommes und Salat. Ich habe noch nie Pommes gegessen, denen etwas anderes anhaftete als Salz oder Paprikagewürz und die man nicht mit Ketchup und Majo überschüttete. Darf man Rosmarin-Pommes in Ketchup ertränken, so wie normale Pommes? Ich glaube, man darf.
    Â»Wenn ich nicht so einen guten Stoffwechsel hätte, würde ich in diesem Haushalt fett werden wie ein Schwein«, stellt Kim fest.
    Â»Ich habe keinen so guten Stoffwechsel«, sage ich und wehre mich gegen das Aufladen eines weiteren Schnitzels.
    Â»Maike«, bittet Ramona, »kannst du Kim nicht davon überzeugen, dass sie wie du das Abi macht? Auf ihre alten Eltern hört sie nicht. Es ist eine Schande, dass sie mit ihren guten Noten nur den Realschulabschluss machen will.«
    Â»Aber sie weiß doch, was sie danach beruflich tun möchte.«
    Â»Gerade deshalb wäre das Abi so wichtig. Für diesen Beruf.«
    Â»Da muss ich Ramona allerdings recht geben«, nuschele ich an

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