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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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einem Bissen Schnitzel vorbei und ernte dafür von Kim einen Tritt unterm Tisch.
    Â»Ihr könntet dann dieselbe Schule besuchen, das wäre doch schön.«
    Vor Schreck schlucke ich einen Brocken herunter, der noch nicht richtig zerkaut ist, und muss ein Husten unterdrücken. Ich stelle mir vor, wie Kim auf meine Schule wechselt und die ganze schreckliche Wahrheit erfährt. Ich müsste es ihr vorher sagen. Sie zu mir nach Hause einladen. Zu einer Mutter, die immer traurig ist, und einem Vater, der kaum mehr spricht. Zu all den Tatsachen und all den Vorwürfen. Ich will sie dort nicht haben, will nicht, dass sie ein Teil davon wird. Sie soll niemals von dem, was mit meiner Familie geschehen ist, erfahren. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem Kim fragen wird, warum wir uns immer nur bei ihr treffen und nie bei mir. Und ich werde sie bestimmt nicht darin bestärken, das Abi zu machen.
    Â»Maike und ich machen am Freitag eine Radtour. Das ist doch okay, oder?«
    Kim spricht die erste Hälfte der Frage in Richtung ihrer Mutter, die zweite zum Vater. In der Mitte des Satzes dreht sich ihr Kopf blitzschnell von einem zum anderen, ihre ulkigen Ponyfransen machen dabei einen kleinen Hüpfer.
    Â»Sicher doch«, antwortet Ramona. »Wo wollt ihr denn hin?«
    Â»Einfach raus«, entgegnet Kim.
    Ich weiß, dass sie diese Antwort nicht etwa gibt, um ihren Eltern etwas zu verschweigen, sondern weil das tatsächlich alles ist, was bis zum Zeitpunkt unserer Abfahrt feststehen wird: einfach raus. Wenn ich meinen Eltern in einer solchen Situation diese Antwort gegeben hätte, wäre sie als Affront aufgefasst worden. Seit der geheimen Friedhof-Aktion darf ich keinen Schritt mehr machen, ohne zu sagen, wohin ich gehe.
    Doch Ramona nickt nur und Stefan nickt auch, als verstünden sie ihre Tochter auf ganz natürliche Weise in dem, was sie plant, und in dem, was sie einfach nur auf sich zukommen lässt. Als vertrauten sie der Balance dieser beiden Elemente und Kims Entscheidungen. Als vertrauten sie ihr. Ich überlege, wie es sich anfühlen würde, wenn das hier meine Familie wäre. Wenn ich Kims Schwester wäre und mein Platz an diesem Tisch von Dauer. Das Gefühl, das sich bei dieser Vorstellung einstellt, ist ein seltsames, denn diese Menschen sind ja nicht meine Familie, aber es ist auch ein gutes, weil sie die Familie sind, die ich mir wünschen würde. Ein bisschen ähnelt sie sogar meiner eigenen, wie ich sie von früher kenne. Nur habe ich jetzt eine Schwester statt eines Bruders.
    Nach dem Essen gehen Kim und ich nach oben in ihr Zimmer, um eine DVD anzusehen.
    Â»Ich soll um zehn zu Hause sein«, sage ich.
    Â»Obwohl Ferien sind?«
    Â»Ja.«
    Â»Na ja, macht nichts. Die schaffen wir noch.«
    Â»Ich hätte auch gern einen eigenen Fernseher in meinem Zimmer«, seufze ich. »Den Kram immer auf dem Laptop zu schauen, ist nervig.«
    Kim schubst die DVD in den Player und drückt auf der Fernbedienung herum.
    Â»Das ist doch nicht etwa so eine Liebesschnulze«, sage ich misstrauisch, als ich den Titel sehe. Er kommt mir bekannt vor, aber ich bin mir trotzdem sicher, den Film noch nicht gesehen zu haben.
    Â»Nö«, beruhigt mich Kim. »Der ist lustig und schnulzt nur am Rande. Die heftigen Liebesschnulzen muss ich immer mit den anderen gucken. Vor allem Jessi fährt total darauf ab.«
    Â»Na, dann vertraue ich mal deinem Filmgeschmack«, murmele ich und gähne. Das üppige Abendessen hat mich ziemlich müde gemacht.
    Wir machen es uns unter Kims Bettdecke und zwischen ihren Kissen gemütlich. Als der Film anfängt, bin ich schon fast eingeschlafen, obwohl ich dagegen anzukämpfen versuche.
    Â»Maike«, höre ich Kim sagen, und ich weiß nicht, ob nur eine Sekunde vergangen oder bereits der halbe Film vorbei ist, »ich bin so froh, dass du auf eine andere Schule gehst als ich. Lass uns bitte nie dieselben Freundinnen haben!«
    Ich bin mir nicht sicher, wie ernst sie meint, was sie gerade gesagt hat, ob es etwas mit dem Film zu tun hat oder nur mit uns. Ich lasse die Augen geschlossen, lächle und gähne abwechselnd und verspreche ihr, niemals einen gemeinsamen Freundeskreis mit ihr zu haben. Und das meine ich ernst. Ich finde es nämlich verdammt gut, so wie es ist. Unsere Freundschaft ist abgeschottet von allem, was uns gefährlich werden könnte.
    Als ich kurz zum Fernseher schaue, läuft dort

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