Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
oder eine müde Aggressivität war, die der Zuchtmeister des Intendanten bei seinem Abgang abstrahlte. Oder war’s einfach nur arrogante Coolness? Die jungen Mitarbeiter des Intendanten schwiegen betreten, und der Altmeister guckte Bernhardt und Cornelia Karsunke wütend an.
»Sie fehlen hier gerade noch. Thomas Bernhardt, das ist einfach zu viel. So dürften Sie gar nicht heißen. Die Namensmystik…«
»Was sagt die Namensmystik?«
»Ach, was weiß ich. Dass Sie einen anderen Namen tragen müssten.«
»Vielleicht Peter Handke?«
Der Intendant schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und wischte die schüttere blonde Haarsträhne zur Seite.
»Bin ich hier im Irrenhaus, was wollen Sie überhaupt? Ich habe Ihnen alles gesagt.«
Auf der Bühne machten sich die drei Schauspieler bemerkbar und fragten, ob die Probe beendet sei. Der Intendant winkte Zustimmung, aber Bernhardt rief ihnen zu, dass sie sich für ein Gespräch bereithalten sollten, in ihrer Garderobe oder in der Kantine, wie sie wollten. Zunächst nahmen sie den Intendanten noch einmal in die Mangel. Der schien aber wirklich nicht mehr zu wissen als beim letzten Mal. Auf die mehrmals wiederholte Frage, ob er ein Verhältnis mit Sophie Lechner gehabt habe, reagierte er genervt.
»Das geht Sie gar nichts an.«
»O doch. Wie oft haben Sie mit ihr geschlafen?«
Der Intendant wand sich.
»Ein paarmal. Aber ich hatte nichts mit ihr.«
»Ach, das heißt bei Ihnen gar nichts, wenn Sie mit einer Frau schlafen?«
»Was soll das? Kennen Sie die Schluck-Wasser-Theorie von Lenin?«
»Ich kenne nur die Schluck-Whiskey-Theorie von Hemingway. Oder war’s Jack London?«
Der Intendant grinste gequält. Bernhardt ließ nicht locker.
»Wo waren Sie am Donnerstag zwischen 14 und 17 Uhr?«
Der Intendant blickte die Referentin hilfesuchend an. Die holte einen Terminkalender aus den Tiefen ihrer Hängetasche, blätterte und lächelte erleichtert.
»Da haben Sie eine Hose gekauft, am Gendarmenmarkt.«
Der Intendant entspannte sich.
»Na also.«
Der Tag im Theater zog sich hin. Cornelia Karsunke befragte das junge Paar aus dem seltsamen Stück. Die beiden waren von einer geradezu süßen Arglosigkeit. Die Lechner sei ihnen vorgekommen wie ein Engel von einem anderen Stern, vielleicht wie ein gefallener Engel, hatte der Junge ein bisschen vorwitzig hinzugefügt. Sie befragten auch noch andere Schauspieler, die Referentin, Dramaturgen und Hilfsdramaturgen, die Leute an der Kasse, Cornelia ging in die Kantine, hörte sich auch hier um. Es kam nicht viel dabei raus. Die Grundaussage lautete: Sie war eine große Fremde, vor der man Respekt und Ehrfurcht empfand, aber auch ein bisschen Angst. Schließlich rief Cornelia noch beim Herrenausstatter an, wo man ihr bestätigte, dass der Intendant tatsächlich am Donnerstagmittag eine Hose gekauft hatte. Wann genau? Man habe keine Stechuhr, niemand führe ein Zeitprotokoll.
Bernhardt führte währenddessen ein Gespräch mit Sebastian Groß, dem Schauspieler, der auf dem Kopf gelaufen war. Er war ein, Bernhardt hasste das Wort, attraktiver Mann, hochgewachsen, volles braunes Haar, das er halblang trug, dunkle, große Augen, Dreitagebart. Er wirkte freundlich und entspannt. Bernhardt war wider Willen beeindruckt.
»Respekt, Sie sind also der Kopffüßler.«
»Ah, die Illusion hat funktioniert?«
»Ja, schon, ich saß aber auch in der letzten Reihe. Wie machen Sie das denn?«
»Geheimnis. Aber deshalb sind Sie ja nicht hier. Sie wollen mich nach Sophie Lechner fragen.« Keine Spur von Nervosität, vielmehr freundliche Zugewandtheit. »Wir waren bis vor einiger Zeit ein Paar, wir haben uns geliebt, soweit das möglich war.«
»Soweit das möglich war?«
»Nun, Sophie war offen und liebesbereit, aber in ihren dunklen Momenten entzog sie sich, floh vor der Liebe, könnte man sagen. Klingt ein bisschen kompliziert, ich weiß. Aber so war’s. Ich verdanke ihr viel, bis vor kurzem war ich noch ein unbedeutender Schauspieler, sie hat mich mitgezogen, mich inspiriert und mich hier an diesem Theater, da bin ich ganz offen, installiert.«
»Und was wurde aus der Liebe?«
Hier zögerte Sebastian Groß, seine Miene verdunkelte sich. »Schwierig. Ich will da ganz ehrlich sein, ich war nicht der Einzige.«
»Eifersucht?«
»Ja, unbestritten.«
»Gab’s gewalttätige Auseinandersetzungen?«
»Ganz klar: nein.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer der Täter sein könnte?«
Ein paar nervöse Augenaufschläge.
»Nein,
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