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Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Titel: Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus-Ulrich Bielefeld , Petra Hartlieb
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hören musste.
    »Raus!«
    Die Referentin wollte sie aus dem Saal komplimentieren, aber Bernhardt setzte sich in die letzte Reihe und forderte Cornelia auf, sich neben ihn zu setzen.
    »Ist doch ein Erlebnis, mal so ’ne Probe mitzukriegen.«
    Auf der Bühne war eine riesige Steinplatte aufgerichtet. Ein junger Schauspieler schlug seinen Kopf immer wieder gegen die Wand. Cornelia ergriff Bernhardts Hand. »Ist ja schrecklich!«
    »Nee, ist Styropor.«
    Während der Mann seinen Kopf mit der Gleichmäßigkeit eines Metronoms vor und zurück bewegte, tändelte am Bühnenrand ein junges Paar. Ein Junge und ein Mädchen küssten sich, machten ein paar unentschiedene Kopulationsbewegungen, dann stieg der Junge auf ein niedrig gespanntes Seil und balancierte, doch nach wenigen tastenden Bewegungen fiel er zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen, das Mädchen stellte sich über ihn und sang A Hard Day’s Night von den Beatles .
    Der Mann an der Steinwand hörte mit seinen immer maschinenhafter wirkenden Bewegungen nicht auf, doch plötzlich – Bernhardt hatte den Umschwung nicht mitbekommen – stand der Mann auf dem Kopf und bewegte sich langsam an der Wand entlang. Das Pärchen war in diesem Moment wieder zusammengekommen, das Mädchen hatte den Kopf in den Schoß des Jungen gelegt und eröffnete nun ein kleines Wechselgespräch:
    »Wer spricht da?«
    »Ein Traum.«
    »Träume sind selig.«
    »So träume dich selig, und lass mich dein seliger Traum sein.«
    In dieses leise, fast gehauchte Gespräch mischte sich eine harte Stimme. »Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen.«
    »Der Tod ist der seligste Traum.«
    »So lass mich dein Todesengel sein! Lass meine Lippen sich gleich seinen Schwingen auf deine Augen senken.«
    »Es war nasskalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft.«
    »Schöne Leiche, du ruhst so lieblich auf dem schwarzen Bahrtuch der Nacht, dass die Natur das Leben hasst und sich in den Tod verliebt. Jetzt stirb! Mehr ist unmöglich.«
    »Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte.«
    »Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten.«
    Ein unglaublicher Schlag erklang, wie von einem riesigen Gong, der sekundenlang nachhallte. Das Licht auf der Bühne erlosch. Schwärze. Stille. Bernhardt gab der Referentin das Regiebuch zurück, das sie ihm zum Mitlesen in die Hand gedrückt hatte.
    Am Regietisch setzte Gemurmel ein. Bernhardt fiel ein Älterer mit Nickelbrille und langen, nach hinten gestrichenen grauen Haaren in der Gruppe auf, die den Intendanten wie ein Ring umschloss. Bernhardt bewegte sich mit Cornelia Karsunke langsam nach vorne, die leicht näselnde Stimme des Älteren dominierte das Gespräch. Er sprach das scheinplebejische, nölige Kunstberlinisch, das sich über die Jahrzehnte in Ostberliner Künstler- und Intellektuellenkreisen herausgebildet hatte.
    »Det is’ Kunstjewerbe, watte hier machst, det is nich Machete, det is stumpfet Küchenmesser. Du kannst die zwee Texte nich einfach nebeneinanderstellen, die musste zertrümmern, det muss ’n neuer Text werd’n. Und wenn de dann noch mit Video arbeetest…«
    Der Kopf des Intendanten rötete sich, aber er widersprach nur halbherzig. Der andere ließ nicht nach.
    »Überleg ma, wann det jeschrieb’n word’n is. Beginn der Industrialisierung, also musste den Entfremdungskomplex viel stärker betonen, Marx, philosophisch-ökonomische Manuskripte, und dann kommste irjendwann ooch zu Dostojewski und Bataille. Oder Nietzsche. Liegt dir vielleicht näher. Det muss allet drin sein, meinetwejen ooch Dagobert Duck. Na ja, det jeht vielleicht zu weit. Aber vastehste, wat ick meine?«
    Wohl nicht ganz. Der Intendant wirkte erschöpft, bewahrte aber Haltung.
    »Gut, dass du mal da warst. Die in den Feuilletons denken ja immer, zwischen uns herrschte Funkstille. Wobei: Weit auseinander sind wir schon, das habe ich jetzt doch wieder mal gemerkt.«
    »Keene Frage. Und det is ooch jut so. Also demnächst kommste mal bei mir vorbei. Ick mache den Raub der Sabinerinnen zusammen mit Die ehrbare Dirne von Sartre, ’n echtet Endzeitjemälde, jeht ja allet ’n Bach runter, weeste ja.«
    Bernhardt fragte sich, ob es eine aggressive Müdigkeit

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