Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
Papierstapel. Auf einem weißen Blatt machte sie sich eine To-do-Liste, der Tag würde lang werden.
Die beiden Kollegen betraten schwungvoll das Büro, und ohne auf Annas Verspätung anzuspielen, rief Helmut Motzko sein »Guten Morgen«. Anna musste an die beliebte Comedy-Sendung denken, in der der amtierende Bundespräsident auf die Schippe genommen wurde und allen ein zackiges »Guten Morgen, Österreich« entgegenschmetterte. Sie bezweifelte allerdings, dass Helmut Motzko die Sendung schaute.
Das Räuspern ihres Kollegen riss sie aus den Gedanken. Stimmt, sie durfte jetzt nicht noch mehr Zeit vergeuden. Sie musste die Aufgaben verteilen. Gabi Kratochwil sollte weiterhin den Exmann in Kanada suchen – sie hatte zwar gestern von der Botschaft eine Anschrift bekommen, aber dort niemanden erreicht –, und Helmut Motzko sollte sämtliche Flüge nach Berlin auf verdächtige Personen überprüfen und noch einen Termin im Burgtheater vereinbaren. Sie selbst griff zum Hörer, um den Souffleur, Herrn Fürst, anzurufen, seine Telefonnummer hatte sie inzwischen aus der Personalabteilung des Theaters bekommen. Anna wollte schon fast auflegen, als nach endlos langem Läuten eine Männerstimme ein »Ja« in den Hörer bellte.
»Herr Fürst? Spreche ich mit Herrn Roland Fürst?«
»Wer will das wissen?«
»Kriminalpolizei, Chefinspektor Anna Habel. Und mit wem hab ich die Ehre?«
»Na, mit wem schon. Sonst wohnt hier keiner. Aber ich werde mich beschweren, die im Theater dürfen meine Nummer nicht rausgeben.«
»Woher wissen Sie denn, dass ich die Nummer vom Burgtheater habe?«
»Ich bin doch nicht blöd. Jetzt ist sie tot, die dumme Kuh, und wen ruft ihr an? Mich natürlich, weil ich ihr den Tod so was von gewünscht hab. Und jetzt lassen S’ mich in Ruhe. Ich war’s nicht, das wissen Sie genau.«
Mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung, und sämtliche weiteren Anrufversuche klingelten ins Leere.
»Ich bin mal kurz weg«, rief Anna in den Raum. Helmut Motzko telefonierte anscheinend gerade mit jemandem vom Flughafen und winkte ihr abwesend zu.
Anna schnappte sich den Mantel und steckte den Zettel mit der Adresse des Souffleurs in die Manteltasche.
Die Wohngegend im 12. Bezirk konnte nicht einmal die weiße Schneepracht verschönern. Grau in grau standen die Häuser im fahlen Licht, kein einziger Baum war zu sehen, eine Autokolonne wälzte sich im Stop-and-Go-Modus durch die Schönbrunner Straße. Roland Fürst wohnte in einer Dachwohnung in einer kleinen Seitengasse, und wider Erwarten öffnete sich die Haustür nach einmaligem Klingeln. Am Treppenabsatz stand ein ungepflegt wirkender Mann in einem dunkelblauen Trainingsanzug und blickte Anna teilnahmslos an. Sie streckte ihm den Dienstausweis entgegen, er schaute flüchtig drauf, drehte sich wortlos um und schlurfte in die Wohnung zurück. Anna folgte ihm, und eine Welle abgestandener Luft schlug ihr entgegen. Im Zimmer, es war wohl das Wohn-Esszimmer, brannte lediglich eine kleine Stehlampe, die die Sammlung aus leeren Flaschen und schmutzigen Tellern diffus beleuchtete. In der Ecke flimmerte über einen großen Flatscreen-Fernseher lautlos eine Talkshow.
»Wollen Sie mich jetzt verhaften?«
»Nein, das will ich nicht. Ich möchte Sie nur fragen, wo Sie am vergangenen Donnerstagabend waren.«
»Keine Ahnung. Sagen Sie es mir doch.«
»Warum sollte ich es Ihnen sagen?«
»Na, Sie wissen doch eh alles! Man kann doch keinen Schritt tun, ohne dass es jemand weiß.«
»Ich weiß es aber nicht. Also?«
»Ich habe keine Ahnung, wo ich war. Ich weiß auch nicht, welcher Tag heute ist. Ich brauch keinen Kalender mehr. Und wissen Sie, wer daran schuld ist? Diese Schlampe. Es ist gut, dass sie tot ist. Jawohl, und das geb ich Ihnen schriftlich.«
»Roland! Bitte, sag so was nicht!« Aus der Küche war unbemerkt eine Frau getreten, sie stand im Türrahmen und trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch. Monika Swoboda, die Kostümschneiderin.
»Ach! Sie hier? Warum überrascht mich das jetzt nicht?«
»Ist es verboten, sich um ehemalige Mitarbeiter ein wenig zu kümmern? Herr Fürst und ich waren zehn Jahre lang Kollegen.«
»Und deshalb putzen Sie ihm jetzt die Küche? Wo waren Sie beide letzten Donnerstag ab siebzehn Uhr?«
»Ich hatte Dienst, ich war im Theater. Und Roland? Der war hier, hat ferngesehen.«
»Herr Fürst, stimmt das?«
»Ich sagte schon, ich habe keine Ahnung, wo ich war. Vielleicht war ich ja auch schnell in Berlin.
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