Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
Wucht draufgehauen, das ist eindeutig.«
»Wenn du das sagst. Ich seh einen Fleck, sonst seh ich gar nichts.«
»Hast du nicht erzählt, dass sie einen Abschiedsbrief geschrieben hat?«
»Ja, den lassen wir gerade von einem Graphologen untersuchen. Du meinst…?«
»Ich meine, dass sie hier kauerte und gezwungen wurde, diesen Brief zu schreiben. Und dass ihr Besucher nicht eben feinfühlig war. Und er hat sich nicht wahnsinnig viel Mühe gegeben, keine Spuren zu hinterlassen.«
»Irgendwelche Fingerabdrücke?«
»Nicht wirklich. Die Türschnallen und so wurden auf jeden Fall mit Handschuhen angegriffen.«
»Na gut, ihr macht mir hier alles fertig, sucht vor allem nach Dokumenten. Habt ihr eigentlich Wertgegenstände gefunden?«
»Du hoffst wohl auf einen Raubmord. Nein, nein, meine Liebe, so leicht machen wir’s dir nicht, alles da und nicht zu knapp: Bargeld, teurer Schmuck, ein paar Wertpapiere. Du musst dir ein anderes Motiv suchen.«
»Schade. Also, macht’s gut, und schließt ordentlich ab nachher.«
»Machen wir. Ciao.«
Vor Annas Auto stand ein Garagenbesitzer, der sich in demonstrativer Gelassenheit an die Motorhaube lehnte. »Euch ist das wurscht, wenn ich da rausmuss, ihr glaubt, die Stadt gehört euch ganz allein!«
»Entschuldigung, ich bin ja schon weg. Es war wirklich dringend, und ich hab mich beeilt.«
»Beeilt. In einer halben Stunde beginnt mein Dienst, und in einer Dreiviertelstunde hab ich meinen ersten Blinddarm auf dem Tisch. Und wenn ich zu spät komme?«
»Dann behält der arme Mensch seinen Blinddarm halt noch ein paar Minuten länger – ich bin schon weg.« Sie rutschte auf den Fahrersitz und drehte den Zündschlüssel, doch nichts bewegte sich. Keinen winzigen Laut gab der Motor von sich, lediglich ein kleines Klicken war zu hören, als Anna den Schlüssel mehrmals hin- und herdrehte. »Das gibt’s nicht. Scheiße! So ein verdammtes Wetter aber auch, mir reicht’s für heute, ich hab’s so satt, lasst mich doch alle in Ruhe…«
»Hallo! Alles klar bei Ihnen? Haben Sie ein Problem?«
»Ob ich ein Problem habe?« Anna stieg aus dem Wagen und schlang die Arme um sich. »Ich habe zwei Leichen, einen Kollegen mit Bänderriss, tausend Überstunden und einen Riesenhunger. Und seit neuestem hab ich auch ein Auto, das nicht anspringt. Ich muss in zwanzig Minuten im Burgtheater sein.«
»Na, da haben wir ja fast die gleiche Richtung. Dann schieben wir jetzt Ihre Schüssel in den Hof, stellen sie auf meinen Parkplatz, setzen uns in mein Auto, und ich lass Sie am Burgtheater aussteigen. Was schauen Sie sich denn an?«
Anna starrte den jungen Mann an – er sah eher wie ein Skilehrer als wie ein Chirurg aus. »Was ich mir anschaue? Nichts schau ich mir an. Ich ermittle in einem, also eigentlich in zwei Mordfällen, also in einem nicht so richtig, weil der ist in Berlin passiert, aber inzwischen gibt’s hier auch eine Leich und… ach, egal. Glauben Sie, wir schaffen das?«
»Was denn, das Ermitteln?«
»Nein, das blöde Auto da reinschieben.«
»Na, Sie haben sich ja praktischerweise eh schon so hingestellt, dass es fast von selber geht.«
Zehn Minuten später saß sie völlig durchnässt auf dem Beifahrersitz eines zugemüllten Dacias. Scheibenwischer und Gebläse kämpften gegen Schnee und Kälte. »Solche Autos fahren also Chirurgen?«
»Tja, zumindest junge Chirurgen. Halbgötter in Weiß, das war einmal. Aber angesprungen ist mein Dacia bisher noch bei jeder Temperatur.«
26
Thomas Bernhardt kam langsam im Tag an, der bohrende Kopfschmerz, der ihn am frühen Morgen noch drangsaliert hatte, war fast verschwunden. Nachdem Katia ihm einen Tee aufgebrüht hatte, zog sie ihn vor den Bildschirm und forderte ihn auf, einfach einmal genau hinzuschauen. Es dauerte, bis sich Bernhardt auf der Website zurechtfand. Katia klickte ein paarmal hin und her, vergrößerte Bilder, markierte einzelne Textpassagen. Schließlich begriff er. Ein Angebot für »einsame Damen der Gesellschaft, die sich stilvoll vergnügen wollen: Konversation, Begleitung und mehr !« Es hätte der Kursivschrift und des Ausrufezeichens nicht bedurft, um zu begreifen, worum es ging. Die Bilder der »jungen, kraftvollen Begleiter« vermittelten sehr klar, was »anspruchsvolle Ladys« hier erwarten durften. Und einer der jungen, kraftvollen Begleiter war – Sebastian Groß, ein Jüngling mit lockigem Haar. Bernhardt blickte Katia Sulimma fragend an.
»Ja, Thomas, da staunst du, das ist schon über zehn Jahre
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