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Nach dem Bankett.

Nach dem Bankett.

Titel: Nach dem Bankett. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yukio Mishima
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hielt. Das Auge eines Politikers mußte in jeder Landschaft seines Wahldistrikts eine Schönheit entdecken – ja, man mußte in der Tat Politiker sein, um die wahre Schönheit der Natur erkennen zu können. Der Politiker weiß, daß in jeder Landschaft verlockende, saftige Früchte heranreifen, die geerntet werden wollen.
      Wie zu erwarten war, brach Kazu beim Ausblick von der Bergkuppe in Entzückensrufe aus. Beim Anblick des Denkmalfundamentes weinte sie ein wenig und lächelte dann den Frauen des Volksliedervereins zu, die sich um ein kleines Podium scharten, das man mitten auf dem freien Platz errichtet hatte. Als sie aber zu einem etwas höher gelegenen luftigen Sommerpavillon geführt wurde, von dem man einen überwältigenden Rundblick hatte, vergaß sie ihre Alltagssorgen tatsächlich.
       Im Südosten sah man weit hinten in der Landschaft die mächtige, teils ausgetrocknete Flußschleife des Tama, der hin und wieder durch dunkle Wälder verdeckt wurde. Dieses großartige Panorama wurde von den rotstämmigen Kiefern des Parkes umrahmt. Hinter der Stadt, in den Tälern der gegenüberliegenden Berge, leuchtete das Safrangelb der fauschigen jungen Blätter auf. Obgleich die Nachmittagssonne noch hell schien, lag Dunst über der ganzen Gegend. Die Blätterbüschel wirkten in dem difusen Licht so unordentlich wie die Haare einer soeben erwachten Frau. Zwischen den Dächern der Stadt sah Kazu hin und wieder die grellen Farben eines Busses aufeuchten.
       »Eine wunderbare Aussicht! Wirklich bezaubernd!«
       »Ja«, bestätigte der stellvertretende Bürgermeister. »Sie werden kaum einen schöneren Blick auf Tokio fnden als hier vom Nagayama-Park aus.« Er schob mit seiner zusammengerollten Landkarte einen der Papierlampions zur Seite, die anläßlich des Festes an einer zwischen der Dachrinne des Pavillons und den Kiefernbäumen gespannten Leine aufgehängt worden waren. »Sehen Sie einmal dort nach Osten: ganz hinten am Horizont ist der Flugstützpunkt Tachikawa. Von hier, aus der Entfernung, sieht er recht hübsch aus.«
       Kazu wandte ihren Blick in diese Richtung. Die Windungen des Tama-Flusses verloren sich in weiter Ferne, und am Horizont sah man etwas Helles, Glitzerndes, wie eine Stadt aus Salzkristall. Die weißen Gebilde, die aus der Stadt aufstiegen, waren startende Flugzeuge. Sie schwebten dicht über der Erde, bis sie schließlich hinter einem Berg im Süden verschwanden.
      Von hier aus hätte man den Flugstützpunkt Tachikawa fast für einen Friedhof halten können, denn er wirkte wie ausgestorben und so weiß wie ein riesiger Berg von Mineralien. Darüber spannte sich ein hoher, weiter Himmel, an dem Wolken verschiedenster Art standen: am Horizont waren sie wie Watteballen, aber je höher sie stiegen, desto verschwommener wurden ihre Formen, bis sie schließlich hoch oben am Firmament zu hauchzarten Schleiern zerfossen. Mitten am Himmel stand eine Wolkengruppe, deren zerrissene obere Ränder strahlend glitzerten, während im unteren Teil Schattenefekte wie Skulpturen anmuteten. Diese Wolken wirkten seltsam unwirklich – wie ein Lichtbild, das auf den Himmel projiziert wird.
       Einen Augenblick lang lag die Landschaft in so wunderbarer Feinheit und Deutlichkeit vor Kazus Blicken, wie man sie selten sehen konnte. Über den Zypressenwald vorn zog plötzlich der dunkle Schatten einer Wolke, aber die Szene am Horizont blieb unverändert – wie erstarrt.
       Für Kazu hatte diese Landschaft nichts Lebendiges. Kazu hatte vielmeh den Eindruck, einer riesenhaften, schönen, anorganischen Erscheinung gegenüberzustehen. Die Natur hier hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dein Garten vom Setsugoan, der von Menschen angelegten Miniaturwelt erlesene Schönheit, die man mit den Händen greifen konnte. Trotzdem erschien es ih bereits wie eine politische Tat, diese Landschaft zu betrachten. Besichtigen Zusammenfassen und Beherrschen – das war die Aufgabe eines Politikers.
       Kazu war nicht dazu fähig, etwas zu analysieren. Aber die Schönheit des Bildes, das sich ihren Augen sekundenlang bot, schien all die politischen Träume zu verhöhnen, denen sie sich, leidenschaftlich und oft mit Tränen, hingegeben hatte, und ihre politische Unfähigkeit hohnlachend andeuten zu wollen.
       In diesem Moment riß ein Trommelwirbel Kazu in die Wirklichkei zurück. Aus dem Lautsprecher dröhnte ein Volkslied, und der Chor der hie Versammelten fel lautstark ein. Erst jetzt bemerkte

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