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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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sie ihnen eine Kanne aufgebrühten Tee und Zitronenscheiben.
    Anscheinend sind wir eine Art Spielzeug für sie, meint Moses zu Temple.
    Solang wir unser Essen kriegen.
    Am Abend kommen die zwei Männer zurück – Bodie und Royal. Sie schließen Maurys Zelle auf und führen ihn hinaus. Sie passt genau auf, um sich den richtigen Schlüssel zu merken, falls sie ihn irgendwann in die Finger kriegt.
    Hey, ruft sie. Wo bringt ihr ihn hin?
    Keine Sorge, Schätzchen, antwortet Royal. Dich nehmen wir auch mit. Mama interessiert sich für euch zwei.
    Und was ist mit mir?, fragt Moses Todd, als sie Temples Zelle aufsperren.
    Typen wie dich kenn’ wir schon. Royal macht eine wegwerfende Geste. Deine Zukunft is nich rosig.
    Bodie führt Maury durch die Tür, und Temple folgt, den Arm in Royals eisenhartem Griff. Draußen blinzelt sie in die Abendsonne. Kurz schießt ihr der Gedanke durch den Kopf davonzurennen, aber dann bemerkt sie, wie andere, die an den Ecken stehen oder im Schatten von Überhängen auf Korbstühlen sitzen, ihr Gespräch unterbrechen und den Gefangenen nachsehen.
    Wie viele seid ihr?, erkundigt sie sich.
    Wir sin’ dreiundzwanzig in unserer Familie, erwidert Bodie.
    Zweiundzwanzig, seit dein Freund Sonny umgebrach’ hat, fügt Royal hinzu.
    Der is kein Freund von mir.
    Nach einer Ecke gelangen sie in eine Wohngegend und vor ein großes weißes Haus mit Säulen an der Vorderseite und Läden an den Fenstern.
    Drinnen ist es modrig und dunkel. Der Fäulnisgeruch mischt sich mit anderen Aromen – Lanolin, Magnolien, widerlich süße Seife –, als hätte jemand versucht, den Gestank von einer Leiche zu waschen.
    Mama!, ruft Royal die Treppe hinauf. Wir hamse gebrach’ wie du gesogt hast. Wir kommen rauf.
    Das da is einer, wo berührt is. Mama streckt die Hand nach Maury aus. Berührt vom Geist. Willst du zu meiner Familie gehören, Schatz?
    Die Frau kommt einem Monster so nah, wie es Gott gerade noch zulässt, findet Temple. Sie ist riesig und weit unförmiger als die anderen, bestimmt drei Meter groß, wenn sie sich zu ihrer vollen Höhe erhebt und nicht wie jetzt auf einem Berg Kissen ausgestreckt liegt. Sie ist nackt, aber das zählt überhaupt nicht wegen der Knochenplatten, die fast ihren ganzen Körper bedecken, als wäre ihr Skelett weggeschmolzen und außen neu zusammengebaut worden. Ihre Stimme ist fast so tief wie die eines Mannes. Die überdimensionalen Stimmbänder lassen nur Basstöne aus dem Schlund aufsteigen, und der rasselnde Atem verwandelt das Bemühen um Lieblichkeit in etwas Groteskes. Sie nennen sie Mama, und Temple fragt sich, von wie vielen sie tatsächlich die Mutter ist – es würde sie nicht wundern, wenn es alle wären, weil sie so etwas wie eine Weltmama ist, Mutter Erde, eine kolossale Verwerfung des Lebens.
    Wenn sie sich bewegt, knirscht und knackt es myriadenfach in ihrem Außenskelett, und Temple stellt sich vor, dass so ein Insekt klingen müsste, wenn das menschliche Ohr fein genug wäre, um es zu hören. Anscheinend fällt es ihr nicht leicht, sich zu bewegen, die Schwerkraft ihres eigenen Körpers arbeitet vermutlich gegen sie und die Muskeln können nicht Schritt halten mit der Größe und dem Gewicht ihrer beinernen Auswüchse.
    In den schorfigen Knochenplatten auf ihrem Gesicht gibt es Ausschnitte für Augen und Mund, die sie in clownhafter Nachahmung früherer Generationen mit Lippenstift und Lidschatten bemalt hat.
    Bodie steht neben ihr und hält ihr ein Glas Limonade mit einem Strohhalm hin, und wenn sie sich ab und zu vorbeugt, um einen Schluck zu nehmen, rollen ihre Körpermassen über die Bodendielen.
    Hast du eine Mama, Schätzchen? Ihre Frage richtet sich an Temple.
    Muss wohl eine gehabt haben. Temple atmet durch den Mund, um von dem parfümierten Mief nicht würgen zu müssen. So funktioniert das schließlich.
    Kannst dich nich an sie erinnern?
    Nein. Wahrscheinlich is sie aufgegessen worden.
    Weißte was? Man kann auch was vermissen, was man nie gekannt hat. Vermisst du deine Mama, Schätzchen?
    Temple lässt sich das durch den Kopf gehen. Die Stimme der Frau ist laut und brutal, trotzdem hat sie was von einer echten Mama.
    Manchmal schon, glaub ich, antwortet sie. Wenn’s im Supermarkt Mamas gäbe, würd ich mir wahrscheinlich eine einpacken.
    Natürlich.
    Aber man muss die Welt nehmen, wie sie is, und darf sich nich von Sachen ablenken lassen, die sie nich zu bieten hat.
    Die Frau nickt und schlürft von ihrer Limonade. Das Ende des weißen Strohhalms

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