Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
Vom Netzwerk:
vor der Bühne, kehrte dem Orchester den Rücken zu und verschränkte die Hände vor sich. Die Menschen auf dem Platz und aus den umliegenden Straßen kamen näher, als würden sie von unsichtbaren Fäden gezogen. Als die Kinder sich alle aufgestellt hatten, hob die Frau ihre Arme und behielt sie oben. Dann breitete sie sie aus, und die engelsgleichen Stimmen der Kinder breiteten sich über den ganzen Platz aus.

35
    Zu Anfang war es sehr kalt, aber er gewöhnte sich daran, und der Gaskocher half ein bisschen. Als Erstes säuberte er die Schusswunde in seinem Oberschenkel, und das Wasser verfärbte sich rosa. Als die Wunde sauber war, stand er auf und ließ das schmutzige Wasser ablaufen. Dann drehte er den Hahn auf. Er setzte sich in die Wanne, starrte die Wand an und überlegte, wie er am besten zu seinem Jeep zurückkam.
    Er schätzte, dass sie nicht mehr als zwanzig Meilen zurückgelegt hatten. Er schloss die Augen und tauchte unter. Er spürte das kalte, erfrischende Wasser um seinen Kopf, und es fühlte sich an wie das erste Frühlingsbad im Golf. Zwanzig Meilen waren nicht sehr weit, jedenfalls, wenn das Wetter mitspielte. Er hielt die Luft an und blieb so lange unten, wie er konnte, dann kam er schnaufend wieder hoch und rieb sich das Wasser aus dem Gesicht. Als er die Augen öffnete, stand sie da, mit einer Kerze in der Hand, als wäre sie die Hüterin der Verlorenen. Sie hatte den Mantel ausgezogen, ebenso ihr Baumwollhemd. Jetzt trug sie ein viel zu großes T-Shirt, Jeans und war barfuß. Hinter ihr erstreckte sich ihr Schatten über die Wand in die Höhe bis unter die Decke.
    Sie hatten recht gehabt, dachte er, als er sie ansah. Sie hat noch kein Bad genommen. Sie stand ruhig da und starrte Cohen an. Er saß aufrecht, wandte den Blick ab und schaute ins Wasser. Dann ging sie durchs Zimmer zur Lampe und machte sie aus.
    Er tauchte wieder unter, ließ sich treiben, und die Erinnerungen an seinen Jeep und den Sturm und das Loch in seinem Bein verschwanden. Seine Gedanken wanderten hin zu einem weiten, leeren Ort, und als er wieder nach oben kam, lagen ihre Kleider und die Kerze auf dem Boden, und sie hatte die Arme um sich geschlungen. Dichte schwarze Haarbüschel unter ihren Achseln und zwischen ihren Beinen. Das wellige schwarze Haar fiel über ihre Brüste und reichte ihr bis zum Bauch, in schwarzen, seidigen Strähnen wie ein Vorhang, der zurückgezogen werden konnte, wenn man in das geheime Zimmer dahinter eintreten wollte. Das Geräusch des Regens, der auf das Dach und das ganze Land prasselte, das schwache Licht der Kerze, als sie nun näher kam. Er setzte sich auf und legte die Arme über den Rand der Wanne. Sie blieb dicht davor stehen und strich mit den Fingern über seinen Handrücken. Er schaute nicht auf, sondern starrte ihre Hüften an, als sie in die Wanne stieg und sich zwischen seine Beine setzte. Sie legte sich auf ihn und näherte sich seinem Gesicht und hielt inne. Er atmete ihren Geruch ein, und sie wartete ab, ob er ihr entgegenkam.
    Er bewegte sich nicht. Es ging um Verrat und Hoffnung und Angst und Liebe und Schmerz und um gestern, heute und morgen. Alles verknotete sich in seinem Kopf, als würden ineinander verknäulte Schlangen darum kämpfen, wer die Oberhand behielt.
    Sie legte den Kopf auf seine Brust und ließ die Arme ins Wasser gleiten, umschlang seinen Oberkörper und blieb so liegen. Diese stockdunkle Nacht, dieses Nirgendwo und dieser Regen schienen endlos zu sein. Von unten drang das nicht enden wollende Geschrei des Babys herauf, das offenbar eine Weile gebraucht hatte, um sich zu akklimatisieren und sich nun entschieden hatte, mit seiner dünnen, zornigen Stimme gegen jeden und alles anzugehen. Aber es war den Grausamkeiten der Natur genauso hilflos ausgeliefert wie alle anderen.
    In einer Ecke des Raums tropfte Wasser von der Decke und kam in einem genauen Rhythmus auf dem Boden auf, als wollte es den Takt für die anderen Musiker vorgeben. Eins, zwei, drei, platsch. Eins, zwei, drei, platsch. Der Regen und der Donner und das schreiende Kind und das Eins-zwei-drei-Platsch und das diffuse gelbe Licht und die langen Schatten und diese Frau, oder vielmehr dieses Mädchen, jedenfalls diese Person, die da auf ihm lag. Ganz nah. So nah, wie es nur ging. Ihr Kopf auf seiner Brust, ihre Arme, die ihn umschlangen, und ihre Körper, die gegeneinander gedrückt wurden und zusammen in diesem kalten Wasser lagen. Er hob die Hände und schob sie über ihren Rücken, dorthin, wo er

Weitere Kostenlose Bücher