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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Tito, jetzt Morgan. Es scheint, als hätten alle, die wir kennen, irgendetwas Schreckliches zu verbergen.«
    »Und was hast du dann gemacht?«
    »Ich bin ihm gefolgt.«
    »Und …?«
    »Nichts, ich habe ihn aus den Augen verloren. Er war zu schnell.«
    »Das kommt mir alles wie ein einziger Alptraum vor.«
    Während wir reden, beobachte ich die Vorbeikommenden und versuche, hier und da ein paar Worte aufzuschnappen.
    »Erschossen …«
    »Sie haben ihn totgeprügelt …«
    »Er hat sich umgebracht!«
    Wir setzen uns auf eine Bank in der Nähe des Eingangs. Von dort können wir beobachten, wer hinein- und hinausgeht.
    Das hoffe ich zumindest.
     
    Ich warte geduldig inmitten des Tumults.
    Auf einmal ergießt sich eine Schar von Reportern aus dem rechten Flur in den Vorraum. Ich stehe auf.
    Roth.
    Er hat es eilig und stopft dabei ein Notizbuch in seine grüne Umhängetasche.
    »Hey, Roth!« Direkt am Ausgang halte ich ihn auf.
    »Alma!«
    »Was ist da drin passiert?«
    »Sarl hat gerade eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz beendet. Der mutmaßliche Killer ist tot.«
    »Wie, tot?«
    »Er hat sich umgebracht. Sie haben ihn nur einen kurzen Moment allein gelassen, da hat er sich einen Stift in den Hals gerammt.«
    »Aber wie ist das möglich?«
    »So, wie ich es dir gesagt habe. Jetzt entschuldige mich, ich muss schleunigst in die Redaktion und den Artikel schreiben. Wir telefonieren wegen des Interviews! Ich ruf dich an.«
    Während er davoneilt, versuche ich, die einzelnen Teile des Bildes zusammenzusetzen, aber mein Kopf rächt sich wieder durch jähes Stechen.
    Ich sollte mich auf den Heimweg machen. Hier gibt es nichts mehr zu tun.
    »Gehen wir«, sage ich.
    Wir verlassen das Irrenhaus des Kommissariats und steuern die Bushaltestelle an. Dort überlege ich es mir jedoch anders.
    »Hör mal, ich würde lieber noch ein paar Schritte gehen.«
    Naomi reibt sich die Augen. »Sei mir nicht böse, wenn ich nicht mitkomme«, sagt sie, »aber ich bin fix und fertig.«
    »Kein Problem. Wir sehen uns morgen in der Schule.«
    Wir küssen uns auf die Wangen. Dann spaziere ich auf die Eisenbrücke zu. Es wird schon langsam dunkel, ich sollte mich beeilen.
    Die frische Luft in vollen Zügen einatmend, gehe ich über die Brücke und blicke wie immer nach unten, hypnotisiert von der Gewalt der Strömung. Ich lege das kurze Stück zurück, das mich noch vom Kleinen Park mit seinen immergrünen Bäumen trennt, mit seinem kurzen Flussarm, der nach dem Plan eines weitblickenden Architekten vom Hauptlauf abgeleitet wurde, um die Parklandschaft abwechslungsreicher zu gestalten.
    Ich betrete den Park, wo schon die abendlichen Schatten nach mir greifen.
    Da bin ich ganz schnell durch, sage ich mir, aber meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Morgans Ermahnungen geistern unheilverkündend durch mein Bewusstsein, und ich beschleunige den Schritt.
    Der Park ist ziemlich einsam. Ein paar Spaziergänger mit einem Hund an der Leine, ein alter Mann mit einer Zeitung. Die schwachen Lampen entlang der Wege gehen nacheinander an und kommen dem sterbenden Tageslicht zu Hilfe.
    Ich überhole einen älteren Herrn, der mit Kopfhörern joggt, und einen Penner, der nach der besten Bank sucht, um seine Kartonpappe auszubreiten. Er sieht mich erwartungsvoll an, aber da ich selbst kein Geld mehr habe, senke ich den Kopf und laufe auf dem Radweg weiter.
    In der Ferne höre ich das Rauschen des Flusses.
    Ich sehe mich um, ob ich verfolgt werde, aber niemand ist hinter mir. Trotzdem werde ich nicht ruhiger. Als ich mich nach etwa zwanzig Metern erneut umdrehe, erkenne ich mit Entsetzen eine dunkle Gestalt, die sehr schnell geht, noch weit entfernt. Er verfolgt mich nicht. Aber seine Geschwindigkeit ist anormal, und er marschiert aufgezogen wie ein Automat. Und trägt einen Hut. Wie gern möchte ich glauben, dass dieses Detail nichts zu bedeuten hat.
    Der letzte Tagesschimmer im Westen verschwindet schnell. Das Wasser des Flusses ist schwarz. Die Lichtkegel der Parklampen werden räumlicher.
    Ich werfe noch einen Blick auf den Schemen am anderen Ende des Radwegs und sage mir, dass ich paranoid bin. Er verfolgt mich nicht.
    Bei der nächsten Kreuzung biege ich vom Radweg auf einen Weg ab, der zwischen den Bäumen hindurchführt. Ich gehe im Eiltempo, und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass der Mann mit dem Hut dieselbe Abzweigung genommen hat.
    »Oh nein!«, stöhne ich.
    Mein mutmaßlicher Verfolger holt auf. Er rennt nicht. Er rennt nie, genau wie

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