Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
»Nein … ich … ja, gut, ich war da. Aber nur kurz. Wir hatten uns schon die Tage vorher getroffen. Ich dachte, wir wären uns einig. Plötzlich hat sie darauf bestanden, mehr Geld zu bekommen. Es war nicht mit ihr zu reden.« Er ließ das Foto sinken. Schob die Bilder zusammen. »Ich hab gesagt, ich würde sehen, wie viel ich zusammenbekomme. Dann musste ich raus … an die frische Luft.«
»Ja, das glaube ich. Nachdem Sie sie umgebracht haben, voller Wut, mussten Sie weg vom Tatort …«
»Nein … nein … glauben Sie mir doch. Ich habe nie … ich hatte doch gar keinen Grund …«
»Wir wissen, dass Frau Henke Angst vor Ihnen hatte.« Kosters Stimme klang auf einmal ganz verständnisvoll. »Sie hat es uns gesagt. Am Tag nach Isabell Drosts Tod.«
»Angst vor mir? Aber warum denn?«
»Sie haben ihr gedroht! Das waren Sie doch, auf dem Anrufbeantworter, oder?«
Neumann nickte resigniert. »Sie hatte aus meinem Büro Papiere mitgehen lassen. Ich habe es nicht gleich bemerkt.«
»Frau Henke dachte, Sie wären im Zimmer gewesen, und Frau Drost … sie wusste ja über Sie Bescheid.«
»Nein! Ich war niemals in ihrem Zimmer. Nicht mal bei der Visite. Bitte glauben Sie mir.«
»Schauen Sie mal, Doktor Neumann, es ist doch wirklich ganz einfach. Noch heute entnehmen wir von Ihnen die Speichelprobe. Die forensischen Beweismittel werden Sie zweifelsfrei als den Täter überführen. Machen Sie es sich selbst doch nicht so schwer. Legen Sie ein Geständnis ab, und entlasten Sie Ihr Gewissen.« Die Worte, die Staatsanwalt Menzel an den Verdächtigen richtete, hingen bedeutungsvoll im Raum. »Vielleicht als eine Art späte Wiedergutmachung. Machen Sie endlich Schluss mit Ihrem Lügengebilde. Machen Sie reinen Tisch.«
Es sollte der Schlusspunkt sein, doch Neumann schüttelte nur entkräftet den Kopf. »Sie liegen völlig falsch.«
So schwer es ihm fiel, aber jahrelange Erfahrung und seine Intuition verrieten Koster, dass Neumann nicht log. Er glaubte ihm. Seine Mimik war über die ganze Aussage hinweg konstant geblieben. Er zeigte auch keines der typischen körperlichen Lügensymptome. Er hatte weder den Blickkontakt vermieden noch die Stimmlage abrupt gewechselt. Auch der Kontakt zwischen Hand und Gesicht hatte nicht zugenommen, kein Fingertrommeln. Entweder war Neumann ein besonders raffinierter Lügner oder er sagte die Wahrheit. Da Koster wusste, dass der Pflegeschüler Philipp in der Nacht die Drost beklaut hatte, tendierte er dazu, Neumann zu glauben, dass dieser das Zimmer nicht betreten hatte. Und er hatte den Betrug seiner Ausbildung zugegeben. Dann hätte er auch gleich weitersprechen können. Neumann hatte nur seinen Ehrgeiz, die Arbeit und die Aussicht auf Geld. Jetzt war seine Karriere so oder so ruiniert.
»Warum haben Sie nicht mit Ihrer Tochter gesprochen?«
In Neumanns Gesicht las Koster Erstaunen.
»Ich kenne sie nicht. Wie hätte ich …« Er schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich nicht als Vater. Ich hätte meine Verpflichtung damals annehmen müssen, aber ich …«
Koster war skeptisch. Er traute Neumann zu, dass er es sich selbst schönredete, aber er hakte nicht nach. Den Punkt konnte er später klären. Vielleicht war es jetzt Zeit für einen letzten Versuch.
»Wann hatten Sie sich entschieden, mit der Flasche anzugreifen?«
Einen Moment lang schien Neumann ihn nicht zu verstehen. Koster meinte Angst in seinen Zügen zu erkennen, aber Neumann wiegelte ab.
»Sie müssen mir glauben«, sagte er eindringlich. »Ich habe nur mit Gabriele geredet. Ich habe sie nicht getötet. Der Täter wird die Flasche genommen haben, weil sie da war. Die Wasserkästen lagern dort. Ich wünschte, ich wäre nicht gegangen, vielleicht hätte ich sie retten können.«
Späte Einsicht, dachte Koster. Wenn also Neumann nicht der Mörder war, wer war es dann? Sie ermittelten schon seit einer Woche, und der Täter lief immer noch frei herum. Wer war so kaltblütig und schlitzte mit einer abgebrochenen Flasche einem anderen Menschen die Kehle auf? Eine abgebrochene Flasche … Hatte Neumann nicht gerade etwas über die Wasserkästen gesagt?
»Wer ist eigentlich für die Wasserkästen verantwortlich?«, fragte er.
Neumann zuckte die Achseln. »Was meinen Sie? Das Pflegepersonal bestellt wöchentlich Vorräte, und die Versorgungsstelle beliefert die Stationen.«
»Und dann?«
»Dann tauschen sie die vollen gegen die leeren Kästen aus. Oder was wollen Sie wissen?«
»Und wie kommen die Patienten an die
Weitere Kostenlose Bücher