Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
hauchte ihm noch einen Kuss in den Nacken, dann zog sie sich an und machte sich beschwingt auf den Heimweg. Es ging doch nichts über eine erfüllte Nacht!
Zu Hause angekommen, wandelte sie sich zurück. Lorena war müde, ihre Glieder fühlten sich bleischwer an, doch sie wusste, dass es noch dauern würde, bis sie Schlaf finden konnte. Sie war noch zu aufgeputscht. Ihr ganzer Körper kribbelte, als kreise Champagner durch ihre Adern. Wieder nahm sie ihre Wanderung durch die Wohnung auf, obwohl sie sie nun gefahrlos hätte verlassen können. Für den Rest der Nacht unterlag die Wandlung ihrem Willen. Sie konnte sich der Gestalt des Nachtmahrs bedienen, musste es aber nicht.
Was aber würde es bringen, allein mit ihren Gedanken durch die Nacht zu laufen? Ihnen konnte sie nicht entfliehen, ganz egal, wie schnell sie versuchte davonzulaufen.
Lorena nahm ihren Geldbeutel aus der Handtasche und öffnete den Reißverschluss des hinteren Fachs. Zwei Schlüssel glitten in ihre Hände. Beide waren ein wenig altmodisch, das Metall angelaufen. Der eine war recht klein mit verschnörkelten Gravuren an seinem Kopf und einem komplizierten Bart, der andere war ein wenig größer und musste zu einem einfachen Schloss gehören. Es war fast schon zu einem Ritual geworden, die Schlüssel zwischen ihren Fingern zu reiben, wenn sie ihre Gedanken schweifen ließ. Lorena wusste nicht, zu welchen Schlössern diese Schlüssel gehörten, ebenso wenig hatte sie eine Ahnung, woher sie sie hatte, und dennoch war sie sich sicher, dass sie wichtig waren und sie sie immer bei sich tragen musste. Die Schlüssel in der Hand, lief sie gedankenverloren und rastlos durch ihre Wohnung.
In der Küche blieb Lorena schließlich stehen. Ihr Blick fiel auf das Seidenpapier, in dem das Notizbuch eingewickelt gewesen war, das sie vergangenen Samstag auf dem Straßenmarkt gekauft hatte. Sie steckte die Schlüssel in ihr Fach zurück, ging ins Wohnzimmer und nahm das Buch aus der Schublade. Sie berührte das alte Leder, das trotz der vielen Jahre, die es schon hinter sich hatte, so wundervoll weich war. Es war einfach eine Wohltat, es zu berühren. Es zu streicheln. Lorena schloss die Augen und genoss die Bilder, die in ihr aufstiegen. Es war ganz einfach. Sie ging den langen Gang entlang und öffnete die Tür am Ende, um zu sehen, was der Raum, der so lange verschlossen gewesen war, vor ihr verbarg.
Plötzlich hielt Lorena inne. Nein, das ging zu schnell, aber es war eine Möglichkeit. Sie nahm das Buch und presste es mit beiden Händen gegen ihren Leib, dann holte sie ihren alten Collegefüller aus der Schublade und schraubte den Deckel ab. Die Stahlfeder kratzte über ein leeres Stück Papier, bis die eingetrocknete Tinte endlich zu fließen begann. Wie lange hatte sie ihn nicht mehr benutzt? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Lorena malte ein paar schwungvolle Bogen, ehe sie sich mit dem Buch und dem Füller aufs Sofa setzte. Fast feierlich schlug sie die erste Seite auf und schrieb das Datum des Tages in die obere rechte Ecke. Dann zögerte sie. Was sollte sie nun schreiben?
Liebes Tagebuch, ich hatte gerade wilden Sex mit Noah und kann nun nicht einschlafen, weil die Hormone in meinem Blut einen Tanz aufführen, der mich nicht zur Ruhe kommen lässt.
Lorena seufzte.
Nein, lieber nicht.
Oder so?
Ich liebe Jason. Ich denke ständig an ihn, seit ich ihn vergangenen Freitag wiedergesehen habe. Man sagt zwar, man könne nicht so schnell lieben. Dieses Gefühl beim ersten Blick sei nur Verliebtheit, doch das kann ich in diesem Fall nicht gelten lassen. Wir haben eine gemeinsame Geschichte. Ich habe ihn schon damals geliebt. Es war nur irgendwo versteckt und hat im Verborgenen gewartet. Und so hat ein Abend, ja, vielleicht schon ein Blick genügt, um die Liebe zu ihm wieder hervorzubringen.
Es ist wie früher an der Highschool. Eine Liebe, die hofft und geduldig wartet und nicht weiß, ob sie jemals erwidert wird. Und doch fühlt es sich tief in mir so an, als seien wir füreinander bestimmt … Ist das nicht seltsam?
Und weil ich nicht weiß, ob Jason und ich jemals zusammenkommen, habe ich schon mal mit Noah viel Sex. Man darf ja nichts anbrennen lassen! Halt nein, das bin ja gar nicht ich. Das ist nur der Nachtmahr, der zwischen Mitternacht und ein Uhr die Gewalt über meinen Körper und meinen Geist an sich reißt und Dinge mit mir tut, die ich verabscheue. Daher trifft mich keine Schuld. Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, denn ich betrüge
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