Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
ein: »Bei Sexualmördern trifft man auch auf Hass, hinzu kommen Dominanz, Kontrolle und sexuelle Erregung durch das Leiden der Opfer.«
»Genau. Eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre die, dass der Täter geplant hatte, das Mädchen bei der Vergewaltigung nicht nur brutal zu penetrieren, sondern es zu würgen und dadurch einen Lustgewinn für sich zu erreichen. Dann müssten Sie tatsächlich einen sexuellen Sadisten suchen«, kam Renz auf ihre Ausgangsfrage nach dem Tätertyp zurück.
Der Eisklumpen in Judiths Körper wuchs ein großes Stück. Sie überlegte Alternativen: »Es könnte aber auch sein, der Mord ist die Folge der Vergewaltigung. Vielleicht – oder bestimmt – hat das Mädchen anders reagiert, als der Täter sich das in seiner Fantasie ausmalte. Weinte, wehrte sich, schrie. Das wird ihm nicht gefallen haben. Ich denke, er wollte sie ruhig halten und hat sie deswegen – vielleicht sogar unabsichtlich – erwürgt.«
»Auch eine Variante«, gestand Dr. Renz zu und regte an: »Lassen Sie uns der Vollständigkeit halber auch noch die anderen Motive prüfen. Was ist mit dem Gelegenheitsvergewaltiger? Der spontan agiert, wenn sich die Möglichkeit bietet? Vielleicht hat er Ilona Eichner von einem Fahrzeug aus gesehen; die Fernverkehrsstraße ist ja nicht weit weg.«
»Und dann hatte er zufällig dieses Stück von einem alten, verwitterten Schlauch dabei?« Das erschien Judith zu unwahrscheinlich.
»Also keine Vergewaltigung durch Gelegenheit. Was ist dann mit Wut als Motiv? Die führt auch zu extremer Gewalt. Oder ein Frauenhasser?«
Judith folgte seinem systematischen Herangehen: »Bei Wut wäre das Mädchen wahrscheinlich noch übler zugerichtet. Dann hätte sie mehr Verletzungen, Schnitte, Tritte, Bisse. So etwas haben Sie nicht gefunden ... Und ein Frauenhasser hätte sich wohl kaum ein vierzehnjähriges Mädchen gegriffen.«
»Na ja. Das Mädchen war sexuell reif.«
»Das zeigt mir eher, dass hier niemand nach einem präpubertären Kind Ausschau gehalten hat. Ich suche folglich keinen pädophilen Straftäter.«
Renz nickte zustimmend, bevor er ihre Motivdiskussion beendete: »Bleibt daher noch die sexuelle Lust mit sadistischer Komponente.«
»Bitte nicht. Da könnten wir einen undefinierbar großen Täterkreis haben!«
~ 25 ~
Als es zweimal klopfte, war Laura dabei, ein Geschenk für Leon einzupacken. Sie wollte es ihm bei nächster Gelegenheit einfach so, ohne konkreten Anlass, geben. Gerade hantierte sie unbeholfen mit dem großen Bogen Schmuckpapier. Ihre rechte Hand war mit dem dicken Verband kaum zu gebrauchen. Laura war gespannt, was er von dem antiquarisch erworbenen Buch halten würde. Leon Ahlsens, der vor ein paar Jahren aufgetauchte entfernte Cousin ihrer Freundin Astrid, hatte sich der Neugestaltung des Ahlsens’schen Gutsparkes und dem Wiederaufbau der Gärtnerei verschrieben. Das mit Federzeichnungen illustrierte Buch zur Anlage von Landschaftsparks im 19. Jahrhundert würde ihm vielleicht die eine oder andere Anregung bescheren. Laura selbst war beim Durchblättern schon auf ein paar Ideen gestoßen, die ihr gefallen würden. Sie freute sich darauf, mit Leon über ihre Realisierbarkeit zu streiten. Laura fand es großartig, dass es wieder jemanden gab, der sich um das riesige alte Gutsgelände kümmerte.
Inzwischen wurde energischer geklopft. Laura unterbrach ihre Arbeit und ging zur Haustür. »Ich komme ja schon!«
Auf der Schwelle stand Michael Rohde und hielt ihr mehrere flache Pappschachteln hin. »Hier. Sind allerhand ganz brauchbare dabei. Diesmal war nichts schwarz.«
Laura nahm das als Kompliment, gab ihm die vereinbarten zwei Zwanziger, legte noch einen Zehner drauf und Michael schwirrte zufrieden ab. Er war ein Junge aus der Nachbarschaft, der vor ein paar Monaten zu seinem zwölften Geburtstag einen Fotoapparat geschenkt bekommen hatte. Das neue Hobby begeisterte ihn so, dass er sich eine kleine Dunkelkammer einrichtete, und nun entwickelte er für das halbe Dorf die Filme und machte dann die Abzüge.
Auch Laura nutzte das Können des Jungen vorbehaltlos. Immerhin hatte sie ihm elf Filme zum Entwickeln gegeben. Das Fotopapier hatte sie aus Berlin mitgebracht. Im dortigen Industrieladen war die Auswahl an Formaten einigermaßen ansprechend gewesen.
Für jeden Fotografen ist es immer wieder ein großer Moment zu sehen, wie seine Aufnahmen geworden sind. Auch Laura war gespannt. Leons Buch und das Geschenkpapier brachte sie einstweilen ins
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