Nachtruf (German Edition)
mit rasiertem Schädel, der auf einer der Zellenbänke saß, war ebenfalls verhaftet worden. Trevor kannte ihn noch aus dem dunklen Lagerraum.
McGrath klopfte an die Plexiglasscheibe, um die Aufmerksamkeit des Wachpostens zu wecken. Er wies auf die beiden Männer. „Bring die zwei Schönheitsköniginnen da in Raum drei und vier.“
Als der Officer die beiden Häftlinge herausholte, stieß er mit der Schulter gegen einen drahtigen Mann, der nervös in dem engen Raum hin und her lief. Trotz der Hitze, die von den vielen zusammengepferchten Körpern ausströmte, zog er seine zerschlissene Jeansjacke eng um sich.
Trevor stieß McGrath an. „Der Junkie da drüben. Was liegt gegen ihn vor?“
McGrath warf einen Blick auf sein Klemmbrett. „Festgenommen wegen Drogenbesitzes – Amphetamine der Klasse C. Nicht genug für einen weiteren Verkauf, also vermutlich nur für den Eigenbedarf. Kennen Sie ihn?“
Der Mann drehte sich um, um in die andere Richtung zu schlendern, und fuhr sich dabei mit den Händen durch sein ungewaschenes Haar. Verschorfte Kratzer zogen sich an der rechten Seite seines Halses nach unten, bis sie unter dem hochgeschlagenen Kragen der Jacke verschwanden. Trevor spürte, wie dumpfer Zorn ihn erfüllte. Er ging durch die Zellentür und schleifte den Mann unsanft mit sich nach draußen.
„Runter mit der Jacke!“
McGrath machte einen Schritt nach vorn. „Rivette …“
„Ziehen Sie sie aus!“ Als der Mann sich verwirrt hinhockte, riss Trevor ihm das Kleidungsstück herunter und schmiss es auf den Betonboden. Ein dorniges Stacheldraht-Tattoo wand sich um den rechten Unterarm des Junkies.
„Rivette!“
Es brauchte die vereinten Kräfte von McGrath und Thibodeaux, um Trevor von dem Mann wegzuziehen.
30. KAPITEL
Das Mallory’s war in jeder Hinsicht eine Absteige. Zigarettenqualm erfüllte die schäbige Kneipe, und in der Luft hing der Geruch nach schalem Bier. Wenn er an der Bar bediente, benutzte James Rivette immer seinen persönlichen Hocker. Aber heute war sein freier Abend, also saß er auf dem Stuhl neben dem Durchgang zu den Toiletten. Mit der rechten Hand umklammerte er sein Whiskeyglas. An der Wand hinter der Bar hing ein riesiger, blinder Spiegel, und davor standen die üblichen Reihen von Flaschen in verschiedenen Formen und Größen.
Als er den Kopf hob, erhaschte James einen Blick auf sein Spiegelbild. Er erkannte die breiten, gebeugten Schultern und das graue Haar kaum wieder. Auch nicht die hängenden Wangen. Früher einmal war er ein verdammt gut aussehender Mann gewesen. Doch sein ganzes Leben lang hatte er immer den Kürzeren gezogen. Die Enttäuschungen hatten ihn irgendwann eingeholt und Falten in sein Gesicht gegraben. Seine besten Jahre hatte er dem NOPD geopfert. Und wofür? Die hohen Tiere in der Chefetage hatten die erstbeste Gelegenheit genutzt, ihn um seine Pension zu betrügen.
Hustend wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. Ein Mann sollte ein kleines finanzielles Polster haben oder zumindest jemanden, der sich im Alter um ihn kümmert. James ließ den Kopf hängen und bedauerte sich zutiefst.
Seine Gedanken wanderten zu seinem ältesten Sohn. In letzter Zeit hatte er viel über ihn nachgedacht. Genau genommen seit dem Tag, an dem er ihn auf der Straße vor der Bar gefunden und den Notruf abgesetzt hatte. Trevor war inzwischen ein Mann, ein eingebildeter FBI-Agent mit Dienstmarke und Waffe. James hatte diese Mistkerle von der Bundesbehörde, die in ihren schicken Anzügen herumliefen und so überlegen taten, immer gehasst. Aber es passt, dachte James säuerlich. Trevor war schon immer der Meinung gewesen, besser zu sein als alle anderen.
Denkst du, ich würde es nicht tun? Fahr zur Hölle!
Er trank den Rest seines Whiskeys. Trevor hatte ja nicht vernünftig sein wollen. Da war nicht ein Fünkchen Vergebung in seinem Herzen gewesen.
Es war nicht seine Schuld. Der Junge hatte ihn verärgert, ihn gezwungen, die Hand zu erheben. Trevor war noch ein Kind gewesen – woher, zum Teufel, hatte er verstanden, was er gesehen hatte? James knallte das leere Glas auf den klebrigen Tresen und verlangte rau nach einem weiteren Drink.
Durch seinen Sohn hatte er alles verloren.
Aus dem Fernseher, der über der Bar hing, plärrte CNN. Doch die Gäste an diesem Abend waren zu laut, sodass er nicht viel von dem verstehen konnte, was die Nachrichtensprecherin sagte. Jemand warf die Jukebox an, und die Neville Brothers mischten sich in das
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