Nachtsafari (German Edition)
sich jede weitere Spekulation. Ganz vorsichtig stemmte sie sich aus ihrem Schlammbett hoch und tastete nach ihrem Handy. Es war feucht geworden. Besorgt schaltete sie es an, das Display leuchtete auf, und nach kurzer Prüfung stellte sie erleichtert fest, dass es zu mindest noch funktionierte. Mit angehaltenem Atem wartete sie, ob das Telefon Empfang bekam. Ein Balken flackerte, nur ab und zu, aber immerhin. Aufgeregt rief sie die Nummer von Jill Rogge auf.
Im Hörer knackte es, sie hörte Musik und laute Stimmen im Hintergrund. Und dann eine Frauenstimme.
»Hallo, wer spricht da bitte?«
Silke schickte ein Dankgebet gen Nachthimmel. »Bist du das, Jill?« Unwillkürlich dämpfte sie ihre Stimme. »Hier ist Silke Ingwersen. Aus Deutschland. Wir haben uns im Hilltop Restaurant getroffen …«
Jill lachte. »Hallo, Silke, ja, natürlich weiß ich, wer du bist. Wie geht es dir?«
»Wie man’s nimmt«, antwortete sie und beschrieb im Flüsterton den Elefantenangriff. »Ja«, sagte sie auf Jills Frage hin. »Der Wagen ist nur noch ein Schrotthaufen.«
»Und Marcus? Ist er verletzt?«
»Von dem Elefantenangriff nicht.« Dann berichtete sie in knappen Worten, was Marcus zugestoßen war.
»Was?«, platzte Jill heraus. »O mein Gott! Ein Ranger hat ihn angegriffen?«
»Und entführt«, sagte Silke und betete, dass der Empfang nicht abreißen würde.
»Moment, ich geh mal nach draußen. Hier ist zu viel Krach. Wir haben hier eine Party.« Silke hörte, wie sie ihren Mann Nils rief, dann war der Lärm abrupt weg. »Wo bist du jetzt?«
»Keine Ahnung, wir haben uns irgendwann verfahren. Vom Mpila Camp sind wir nach Westen gefahren, wollten bei einem Hide aussteigen – den Namen habe ich vergessen –, aber da lagen fünf Löwen herum, deshalb sind wir weitergefahren.«
»Mphafa Hide vermutlich«, murmelte Jill. »Bist du im Busch oder auf einem Weg? Kannst du irgendetwas erkennen? Vielleicht einen Stein mit einer Nummer darauf?«
»Nein. Der Mond ist hinter einer Wolke verschwunden. Es ist stockdunkel … und unheimlich«, flüsterte sie und kämpfte ihre aufsteigende Verzweiflung nieder, versetzte sich zurück zu dem Augenblick, als Marcus in Richtung Camp gefahren war, und es fiel ihr wieder ein.
»Ich kann mich allerdings daran erinnern, dass wir etwa bei Nummer 22 umgedreht sind«, flüsterte sie. »Kurz danach kamen die Elefanten.«
»Okay, dann haben wir das eingegrenzt«, sagte Jill und klang zufrieden. »Ich rufe gleich zurück, damit wir deinen Akku nicht überstrapazieren. Deine Nummer habe ich ja auf dem Display. Stell dein Telefon auf Vibrieren ein. Der Klingelton könnte jemanden aufscheuchen.« Jill erläuterte nicht weiter, wen oder was sie damit meinte, sondern unterbrach die Verbindung.
Silke hatte das unsinnige Gefühl, dass Jill damit ihre Rettungsleine gekappt und sie ihrem Schicksal überlassen hatte. In der Ferne ertönte Gelächter, kein menschliches, sondern ein grauenerregendes, manisches Kichern, das immer näher zu kom men schien, und von einer der unzähligen TV -Dokumentationen über Afrika hatte sie gelernt, dass es ein Hyänenrudel sein musste. Hyänen waren wie Geier – nur auf vier Beinen – und hielten sich häufig in der Nähe von Löwen auf, um von deren Tisch ein paar ordentliche Krümel abzubekommen. Instinktiv kauerte sie sich auf den Boden, machte sich so klein wie möglich, obwohl das im Busch vermutlich keine wirkungsvolle Strategie war. Regungslos wartete sie. Ihre Nackenmuskeln wurden bretthart vor Anspannung, das Pfeifen in ihren Ohren konkurrierte mit dem hohen Sägen der Zikaden, die Beule am Kopf pulsierte. Am liebsten hätte sie geheult, aber sie befahl sich, sich zusammenzureißen.
Nach einer Zeitspanne, die ihr wie Stunden vorkam, aber wohl nur Minuten andauerte, vibrierte ihr Telefon.
»Hallo«, wisperte sie.
»Hi, Silke. Nils hier«, kam die kräftige Stimme von Jills Mann durch die Leitung. »Hast du auf deinem Handy eine Möglichkeit, deinen genauen Standort zu erkennen? Eine App vielleicht?«
»Moment.« Sie blätterte durch ihre Apps. »Ich habe eine, ei nen Regenradar, der wohl Satellitenbilder von Google Earth benutzt.« Sie öffnete die App. »Das Gewitter ist übrigens nach Osten abgezogen, das kann ich schon sehen.« Sie kicherte vor Aufregung. »Ich rufe jetzt den aktuellen Standort auf.«
Es dauerte quälend lange, bis der kleine blaue Punkt auf dem Satellitenbild erschien. Mit zwei Fingern zog sie es auseinander. »Es klappt«, jubelte sie
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