Nachtsafari (German Edition)
auf die eine Weise schildert und sich dann später korrigiert, egal, aus welchen Gründen. Sie zwingen dich, deine Geschichte immer und immer wieder zu wiederholen, und irgendwann erinnerst du dich nicht mehr, was du vor einer halben Stunde gesagt hast. Da haken sie dann nach.«
Silke hatte den Eindruck, dass er auch in diesem Fall aus eigener Erfahrung sprach. Vielleicht war es wirklich ratsamer, erst einmal von der Bildfläche zu verschwinden.
»Du solltest auch so früh wie möglich eure Botschaft einschalten«, fügte Jonas hinzu. »Das raten wir allen Touristen, die hier in Schwierigkeiten geraten. Wenn ein deutscher Staatsbürger ent führt worden ist, sollten die das erfahren.« Er warf ihr einen schwer zu deutenden Blick zu. »Er ist doch Deutscher, nicht wahr?«
Silke erstarrte. Besaß Marcus überhaupt die deutsche Staatsangehörigkeit? Vergeblich versuchte sie, sich daran zu erinnern, welche Farbe sein Pass hatte, den er bei der Einreise vorgelegt hatte. Burgunderrot? Oder? Es wollte ihr ums Verrecken nicht einfallen. Sie hatte einen totalen Blackout in dieser Hinsicht.
»Natürlich«, stotterte sie. »Klar ist er Deutscher. Was sonst?«
Jonas nickte und strebte eilig zum Geländewagen. Silke folgte ihm wie in Trance und kletterte hinein. Kurz bevor sie um die nächste Ecke bogen, erhaschte sie noch einen Blick auf mehrere Fahrzeuge.
»Das sind keine Polizisten«, bemerkte sie.
Jonas wandte sich um. »Du hast recht, das sind Ranger. Die werden dir überhaupt keine Auskunft geben können. Wir sollten schleunigst versuchen, in den Bungalow zu gelangen. Vielleicht hat die Polizei ihn noch nicht versiegelt.«
»Eigentlich sehe ich nicht ein, warum ich mich vor der Polizei verstecken soll«, begehrte Silke auf. »Ich habe nichts getan, Marcus hat nichts getan. Im Gegenteil, wir sind überfallen und er ist entführt worden, und mir läuft die Zeit weg. Wer weiß …« Sie stockte.
Unversehens explodierte der Schmerz in ihrer Mitte, und sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte und weinte.
Jonas fuhr abrupt links heran und legte ihr wortlos die Hand auf die Schulter. »Ist gut«, murmelte er rau.
Die sanfte Berührung war zu viel für Silke. Sie brach völlig zusammen. Als sie keine Tränen mehr hatte, zerriss hartes, trockenes Schluchzen ihre Kehle. Ihr Körper schrie nach Marcus. Seine Wärme, die Zärtlichkeit seiner Hände, sie sehnte sich danach, seine ruhige Stimme zu hören, ihn zu fühlen, zu riechen. In seinem Kuss zu ertrinken, den Schutz und die Sicherheit seiner Arme zu spüren.
»Ich habe so eine fürchterliche Angst um ihn«, wisperte sie und hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, »dass er nicht mehr lebt … Meine Zukunft wird so leer sein …«
»Schsch«, flüsterte Jonas. »Denk jetzt nicht darüber nach, beruhige dich. Wir finden ihn. Alles wird gut werden.«
Leise murmelte er etwas auf Zulu. Es klang, als würde er ein Kind trösten wollen. Seine tiefe Stimme, die dahinfloss wie dicke Sahne, die Melodie seiner Sprache taten nach einiger Zeit ihre Wirkung, und Silke richtete sich endlich wieder auf. Mit dem Handballen wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. Aber die Angst blieb, und die bohrende Unruhe meldete sich wieder. Sie horchte in sich hinein. Kannte sie Marcus überhaupt, oder hatte sie bisher nur mit einer Fassade gelebt? Einer Hülse mit dem Äußeren von Marcus Bonamour? Dem Sohn des Hangman. War ihr gemeinsames Leben nichts als eine Illusion? Ihre Bauchmus keln verkrampften sich. Diese Ungewissheit richtete fürchterliche Verwüstungen in ihr an.
»Am schlimmsten ist es, so hilflos zu sein«, flüsterte sie und putzte sich die Nase mit dem Papiertaschentuch, das ihr Jonas zugesteckt hatte. »Ich kann nichts tun, als herumsitzen und warten, bis sich jemand meldet, der etwas weiß.«
»Die Hügel und Täler hier haben Augen und Ohren«, sagte Jonas und lenkte den Wagen zurück auf den durchfurchten Pfad. »Nichts geschieht hier unbeobachtet. Klatsch und Tratsch ist die liebste Freizeitbeschäftigung aller Zulus. Meine Stammesgenossen wissen längst, was mit Marcus geschehen ist, und vermutlich auch, wo er festgehalten wird. Wir müssen nur den Richtigen fragen.«
»Nur«, wiederholte Silke frustriert und überlegte, wie sie Hellfire und seine Leute aufstöbern konnte. Es hatte wohl keinen Sinn, Greta Carlsson zu fragen.
Als sie im Mpila Camp ankamen, stellten sie zu ihrer beider Erstaunen fest, dass niemand vor dem gemieteten Bungalow Wache stand –
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