Nachtsafari (German Edition)
bewegte. Der uniformierte Schwarze? Stirnrunzelnd schaute sie wieder nach vorn.
Vom Camp verlief die Straße auf einem Hügelrücken entlang. Hinter einem mannshohen Steinhaufen führte ein Sandweg nach links in buschbewachsenes Gelände, rechts fiel das Land fast senkrecht in ein weites Tal ab. Marcus fuhr an den Straßenrand, drehte die fauchende Klimaanlage aus, ließ sein Fenster herunter und lehnte sich hinaus. Silke machte es ihm nach. Wärme wehte herein, und die Musik des afrikanischen Buschs erfüllte die Luft. Insektensirren, das Lachen einer Taube, leises Rascheln von Wind, der sanft über das trockene Gras strich, und hoch über ihnen der wilde Schrei eines Raubvogels.
Stumm blickten sie sich um. Unter ihnen glitzerte die Nachmittagssonne auf dem Hluhluwe-Fluss, der sich als breites Band durch das Tal wand. In seiner Mitte leuchteten gelbe Sandinseln, auf denen Silke ein paar schwarze Flecken ausmachen konnte.
»Sind das Tiere oder Felsen?« Sie deutete hinunter. »Ich kann das nicht genau erkennen.«
»Büffel«, sagte Marcus. »Oder Flusspferde. Vielleicht auch Wil debeest … Gnus«, setzte er schnell hinzu, als sie erstaunt auf den fremdartigen Namen reagierte. »Glaub ich jedenfalls. Hast du das Fernglas dabei?«
Silke zog es unterm Sitz hervor und spähte hindurch. Mit einem Achselzucken gab sie es an ihn weiter. »Irgendwas großes Schwarzes. Ob das nun Büffel oder Gnus sind, keinen Schimmer.«
Marcus blickte kurz durch den Feldstecher. »Büffel«, stellte er fest. »Mindestens ein halbes Dutzend. Und hier, sieh mal, ein Isivivaneni.« Er deutete auf den Steinhaufen. »So haben die Zulus ihre Leute begraben, die im Busch gestorben sind. Hyänen und andere Aasfresser konnten sie so nicht ausgraben, und jeder, der vorbeikommt, sollte einen Stein aufheben, darauf spucken und ihn respektvoll auf den Steinhaufen legen. So bittet er die Ahnen, ihn auf seinem weiteren Weg zu beschützen.«
Silke sah ihn finster an. »Woher weißt du das nun wieder?«
Marcus grinste fröhlich. »Steht da geschrieben.« Er wies auf eine eingemauerte Metallplakette, die neben dem Steinhaufen am Wegrand stand.
Silke stieg wortlos aus, kümmerte sich nicht darum, als Marcus ihr besorgt zurief, dass es wegen der wilden Tiere zu gefährlich sei, hier auszusteigen, sondern hob einen besonders schön gemusterten, faustgroßen Stein auf. Sonnenwarm lag er in ihrer Hand. Sie spuckte darauf und platzierte ihn auf die Spitze des Steinhaufens.
»So«, sagte sie, als sie wieder einstieg. »Nun sind wir gegen alle Unbill gefeit.«
Sie kamen nicht weit an diesem Nachmittag. Marcus wählte den schmalen Sandweg den Hügel hinauf, wo sie eine Suhle ent deckten, in der sich eine Warzenschweinfamilie und mehrere Büffel wälzten. Rotäugige Madenhacker turnten auf ihrem Rücken herum. Während sie ihnen gebannt zuschauten, schob sich von rechts der Kopf einer Giraffe aus dem Gras über den Wegrand. Nach und nach folgte der endlos lange Hals, der muskulöse Körper und die langen, staksigen Beine. Silke wagte kaum zu atmen, als das Tier einen Augenblick stehen blieb, langsam seinen Kopf senkte und aus dunklen, langbewimperten Augen durch die Front scheibe ins Auto spähte. Dann marschierte es zur Suhle. Sekunden später erschien ihr Junges, tanzte in grazilen Sprüngen zu seiner Mutter, die mit gespreizten Vorderbeinen an einer Wasserlache stand und den Kopf zum Trinken herunterbeugte.
»Hast du schon jemals so etwas Wunderbares gesehen?«, flüsterte Silke ehrfürchtig.
Marcus antwortete nicht.
Viel zu bald mussten sie zurück ins Camp fahren. Silke, die befürchtete, dass die Affen sich irgendwie erneut Zutritt zu dem Haus verschafft hatten, streckte vorsichtig den Kopf durch die Eingangstür und lauschte. Zu ihrer Beruhigung war kein Affe zu sehen, und alles war so, wie sie es hinterlassen hatten.
Marcus sah auf die Uhr. »Wir müssen uns zum Dinner umziehen. Ich habe in einer halben Stunde einen Tisch im Restaurant reserviert. Es soll ziemlich voll werden, wurde mir gesagt, weil heute Nachmittag eine Reisegruppe angekommen ist.«
Kurze Zeit später erschien Silke im schimmernden Designer-Safarianzug mit Goldknöpfen und hochhackigen Goldsandalen.
»Hoppla, wie ungewohnt«, bemerkte er. »Aber sehr stylisch.«
7
D ie Sonne war schon untergegangen, als sie am Haupthaus ankamen, aber wirklich dunkel war es nicht. Über ihnen wölbte sich ein Sternenhimmel, wie ihn Silke in ihrem Leben noch nicht gesehen hatte.
Marcus
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