Nachtsafari (German Edition)
das Mister Dirk?«, keuchte eine kurzatmige Stimme hinter ihr, als sie mit Nils im Hof wegen eines Anbaus an die Küche sprach.
Jill drehte sich um. Vor ihr stand eine gewichtige Schwarze in lockerem Hängekleid und breitkrempigem Strohhut, die deutlich hörbar nach Luft schnappte. Nelly Dlamini.
»Nelly, was machst du denn hier? Wolltest du nicht Ferien machen? Dich erholen? Nichts tun?«
Die Zulu blinzelte unter ihrem Hut hervor. »Geht nicht«, murrte sie. »Die Kinder brauchen mich, das weißt du. Nomusa mästet Luca, als wäre er ein Zulujunge, der zeigen soll, dass sein Vater viele Kühe hat, dabei hat sein Vater gar keine Kühe, und Kira hat sich in einen Jungen aus ihrer Schule verguckt. Ich muss auf sie aufpassen. Der ist ein Nichtsnutz.« Sie schnaufte.
Jill merkte auf. Dass Kira sich neben ihrem Pony überhaupt für menschliche Wesen interessierte, hatte sie nicht erwartet, und schon gar nicht für Jungs. Die galten bisher als blöd. Sie würde sich wohl mal mit Kira unterhalten müssen. Ein Mutter-Tochter-Gespräch führen. So schnell geht das, dachte sie. Eben war sie noch mein Baby, jetzt ist sie an der Schwelle, eine Frau zu werden. Nelly hatte das offenbar vor ihr gemerkt.
Seit Ben, ihr Mann, der zu Lebzeiten Oberhaupt seines Stammes war, gestorben war, fühlte Nelly sich einsam und verbrachte die meiste Zeit bei Jill und den Kindern. Ihr größter Kummer war, dass Jonas seine Kinder auf eine Schule in Durban geschickt hatte, ihre Tochter war mit Mann und Kindern nach Johannesburg gezogen und kam nur noch selten nach Inqaba, um ihre Mutter zu besuchen. Die Sehnsucht in den Augen der alten Frau schnitt Jill ins Herz.
Auch sie vermisste Ben Dlamini sehr. Alles, was sie über Tiere und Pflanzen wusste, hatte er ihr beigebracht. Schon als Kind hatte er sie auf seinen Armen mit in den Busch genommen, kannte den Namen jedes Tiers, jedes Baumes, zeigte ihr, wie man aus Spuren lesen konnte, ob eine Schlange giftig war oder welche Pflanzen man gefahrlos essen konnte. Auch den medizinischen Nutzen vieler Pflanzen lehrte er sie und brachte ihr bei, in den Wolken die Zeichen eines Sturms zu erkennen, lange bevor er sich zusammenbraute. Das alles brachte Nelly heute Kira und Luca bei, und Jill war froh darüber. Ihr Leben war untrennbar mit den Dlaminis verwoben.
Als ihr vor vielen Jahren das Wasser bis zum Hals stand und sie Gefahr lief, Inqaba zu verlieren, war sie gezwungen gewesen, ein Drittel ihres Landes an den weitverzweigten Clan von Ben Dlamini zu überschreiben, im Gegenzug dafür, dass die Männer auf ihrer Farm weiterarbeiteten. In diesen Verhandlungen hatte sich Ben als trickreich und schlau wie Imfene, der Pavian, erwiesen. Aber sie hatten sich geeinigt, und er hatte zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass die Verträge von seinen Leuten eingehalten wurden. Benjamin Sibusiso Dlamini war ein guter Mann gewesen, und oft wünschte sie, dass er noch da wäre und mit seiner väterlichen Autorität und seinem Status als Häuptling die jungen Kerle im Zaum hielte, deren Murren über die Abmachung immer lauter wurde. Der neue Häuptling war nicht annähernd die Persönlichkeit, die Ben gewesen war, interessierte sich mehr für ganz junge Mädchen als für die Belange seines Volkes und hatte gerade die vierte Frau geheiratet. Die Jungen jedoch schielten neidisch auf das Gebiet Inqabas. Schon waren die ersten Abordnungen ver schiedener anderer Clans bei ihr erschienen und hatten ihre Ansprüche auf das Land angemeldet. Weil angeblich ihre Großeltern irgendwo auf dem Gelände begraben sein sollten oder einer ihres Stammes in grauer Vorzeit dort seinen Hof gehabt hatte. Die Ansprüche wurden bereits vor dem Land Claims Court verhandelt, und jedes Mal, wenn sich diese Tatsache in ihr Bewusstsein drängte, wurde ihr schlecht.
Ab und zu war Ben Dlamini mit ihr auf die höchsten Hügel gestiegen, um zuzusehen, wie die Sonne sich über den Horizont schob und die Nebel, die die Täler füllten, rosig färbte. Dann hatte er ihr erzählt, wie seine Vorfahren hier gelebt hatten, und bei seinen Worten war vor ihren Augen ein Paradies entstanden. Dass das Bild schief war, hatte sie erst erkannt, als sie erwachsen war.
Im Land der Zulus hatte immer Krieg geherrscht. Blutige Stammesfehden unter den einzelnen Familien waren an der Tagesordnung, Viehdiebstahl eine beliebte Methode, die eigenen Herden zu vergrößern. Bisher hatte sich nicht viel geändert. Damals wurden die Kämpfe mit messerscharfen Pangas und Speeren
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