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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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Vielleicht das Gefühl, dass jemand im Zimmer gewesen war, um dann schnell aus dem Raum zu huschen? Vielleicht auch Georg, der in seinem Murmeltierschlaf schnarchte oder manchmal ganz lustig fiepte, weswegen Alba ihn liebevoll mein Tierchen nannte.
    Noch nie zuvor hatte sie sich so erholt gefühlt, als hätte sie den Schlaf eines ganzen Jahrhunderts nachgeholt. Sie lächelte, weil sie einfach nicht anders konnte, und drehte den Kopf, in der Gewissheit, Georg an ihrer Seite zu sehen und sich gleich an ihn schmiegen zu können. Aber er war nicht da. Überhaupt war nichts so, wie es sein sollte.
    Ihr Blick streifte die sandgelben Wände, einen schmalen Schrank, ein Beistelltischchen mit einem Blumenstrauß darauf und blieb schließlich an einem Infusionsständer neben ihrem Bett hängen. Ein Schlauch führte zu einer Nadel in ihrer Hand. Wenn sie die Finger rührte, spannte das Pflaster und ließ sie den Fremdkörper in ihrer Vene spüren.
    Das Wohlbehagen, mit dem sie aufgewacht war, verflüchtigte sich. Ein Krankenhaus? Warum war sie hier?
Was war mit ihr geschehen? Zuerst herrschte Leere in ihrem Kopf, doch nach und nach tröpfelten die Erinnerungen in ihr Hirn: der Brief von ihrem Großvater und … oh Gütiger. Übelkeit stieg in ihr hoch, als das Bild seiner zerfetzten Leiche vor ihrem inneren Auge erschien. Ihr Herz hämmerte so heftig, dass ihr Krankenhausnachthemd über der Brust erzitterte.
    Vielleicht bildete sie sich die Sache nur ein? Alba dachte an den Mann, der sie angegriffen hatte – warum ließ sie das Gefühl nicht los, ihn zu kennen? -, und an seinen Sprung über ihr Auto. Sie rieb sich die Schläfen. Nein, natürlich war all das nicht real. Unmöglich. Einige Atemzüge lang kämpfte sie gegen ihre Hirngespinste. Die Stimme ihrer Mutter begann, in ihrem Kopf zu spuken: Dir wird nie mehr etwas Schlimmes passieren, mein Schätzchen, das verspreche ich dir. Wir ziehen zu deinem neuen Papa, und es wird alles gut … alles gut … alles gut … Ein Echo schien die Worte davonzutragen. Alba musste sich konzentrieren, um sich an die Bruchstücke klammern zu können. Und mit ihnen kam die Angst. Die Angst, die sie zu gut aus ihren Alpträumen kannte, die greifbar wurde und Gestalt annahm. Fast glaubte Alba, eine stämmige Figur hinter dem dunkelblauen Vorhang am Fenster zu erahnen, die aus ihren Träumen emporgestiegen war.
    Schluss jetzt! Alba blinzelte irritiert. Wann sollte das Gespräch stattgefunden haben? Sicherlich kurz bevor ihre Mutter Elmar Wagner geheiratet hatte. Da musste Alba neun Jahre alt gewesen sein. Sie hatte ihren neuen
Papi gefürchtet, seine drahtige Statur, das eingefallene Gesicht, das den Eindruck machte, die Haut wäre direkt über dem Schädel gestrafft worden. Ihr neuer Papi … Von ihrem leiblichen Vater, der sie nur zu ihren Geburtstagen besuchte, wurde genauso wenig geredet wie von Opa Hermann. Was Alba wusste, hatte sie aus Gesprächsfetzen über Jahre hinweg gesammelt, als folgte sie einer Spur aus Brotkrumen. Ihre Mutter wurde mit Ende siebzehn schwanger, heiratete mit achtzehn und erlitt kurz danach eine Fehlgeburt, die sie fast das Leben gekostet hätte. Die Ehe funktionierte eher schlecht als recht, an ein weiteres Kind war nicht zu denken, doch dann kam Alba. Ihre Mutter hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ein Unfall gewesen war. Pech, dass eine Abtreibung sie gefährdet hätte, so durfte Alba leben, mit dem Stempel unerwünscht auf der Stirn. Danach kamen die Scheidung und das Bangen um die Zukunft. Irgendwann lernte ihre Mutter Elmar Wagner kennen. Wie eine Barkeeperin sich so einen reichen Mann angeln konnte, war Alba bis heute ein Rätsel. In den Jahren danach wurde der neue Vater ihr immer vertrauter. Die Mutter dagegen, die sich durch seinen Freundesund Bekanntenkreis hurte, entfernte sich immer weiter von ihr. Bis sie zu einer aufgestylten Fremden mit einem Weinglas in der Hand mutierte.
    Alba schob die Gedanken beiseite. Was jammerte sie herum? Sie musste dankbar sein, für den Luxus, für ihre Designer-Kleider. Auweia, sie redete schon wie ihre Mutter: Sei dankbar, Alba! Gib deinem neuen Papa
einen Kuss für dieses tolle Puppenhaus. Auch nach zwölf Jahren Ehe sprach ihre Mutter noch von ihm als von dem »neuen Papa«, wenn sie ihn nicht schlicht Elmar nannte.
    Alba schnaubte und befingerte den Blumenstrauß zu ihrer

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