Nachtsplitter
der Nachmittagssonne. Bei
dem schönen Wetter war ordentlich was los. Wir hatten den letzten freien Tisch ergattert.
Der Kellner kam, während ich noch die Karte studierte. Meine Mutter bestellte einen Cappuccino.
»Ich nehme einen großen Früchtebecher«, sagte ich.
»Mit Sahne?«, fragte eine Stimme, die sich seit Samstagnacht in mein Gedächtnis eingebrannt hatte.
Mein Kopf fuhr ruckartig nach oben. Vor mir stand Jakob und sah mich mit seinen dunklen Augen an. Mir blieb beinahe die Luft
weg. Panik stieg in mir auf und ich schaffte es nur mühsam, den Fluchtreflex zu unterdrücken.
Ganz ruhig, Jenny. Du bist nicht allein. Überall um dich herum sind Menschen. Deine Mutter sitzt neben dir. Er kann dir nichts
tun.
»Was machst du hier?«, fragte ich scharf.
»Wie wär's mit Arbeiten?« Seine Augen funkelten spöttisch.
Jetzt erst fiel mir seine schwarze Hose auf. Und das weiße Hemd. Nicht gerade seine übliche Kleidung. Er hielt einen Block
und einen Stift in der Hand und an seinem Gürtel baumelte ein großes Kellner-Portemonnaie.
»Willst du deinen Früchtebecher jetzt mit Sahne oder ohne?«, wiederholte er.
»Äh . . . ohne.« Am liebsten wäre ich einfach aufgestanden und gegangen, aber ich wusste nicht, wie ich das meiner Mutter
erklären sollte.
»Möchtest du mir deinen Bekannten nicht vorstellen, Jenny?«, fragte sie in diesem Moment. Das hatte mir gerade noch gefehlt.
»Nein«, sagte ich patzig. »Möchte ich nicht.«
Zum Glück wurde Jakob in diesem Moment an einen anderen Tisch gerufen. Meine Mutter warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Das war nicht besonders freundlich.«
»Sorry, aber ich kann den Typ nicht ausstehen«, murmelte ich.
»Warum denn nicht?« Meine Mutter warf einen Blick in die Richtung, in der Jakob verschwunden war. »Er scheint doch ganz nett
zu sein.«
Ich seufzte genervt. »Können wir bitte über etwas anderes reden?«
Mama zuckte mit den Schultern. »Wie du möchtest. Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?«
In knapp drei Wochen wurde ich siebzehn. Eigentlich wäre das die perfekte Gelegenheit gewesen, mir ein neues Handy zu wünschen.
Aber dies war nicht der richtige Augenblick, um Mama zu beichten, dass ich mein altes verloren hatte. Dann wäre die Stimmung
endgültig im Eimer.
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung . . .«
»Sag bloß, du bist wunschlos glücklich. Das gibt'sdoch gar nicht bei einem Mädchen in deinem Alter.« Meine Mutter sah mich lächelnd an.
»Vielleicht was zum Anziehen«, sagte ich lahm. »Ich hab letztens bei H&M ein schwarzes Oberteil gesehen, das mir gut gefallen
hat.«
Mama verzog das Gesicht. »Musst du denn immer Schwarz tragen, Jenny? Warum suchst du dir nicht mal etwas Buntes aus? Grün
würde dir zum Beispiel sehr gut stehen.«
»Ich mag aber kein Grün.« Die Diskussion hatten wir bereits mehrfach geführt. Meine Mutter konnte einfach nicht akzeptieren,
dass Schwarz meine Lieblingsfarbe war. Ich fand schwarze Sachen cool. Außerdem fühlte ich mich in bunten Klamotten wie ein
Clown.
Am Nachbartisch heulte ein Kind, das seinen Eisbecher runtergeschmissen hatte. Das Geschrei war supernervig und ich hätte
mir am liebsten die Ohren zugehalten. Ein Kellner eilte herbei, um die Sauerei zu beseitigen. Ich starrte ihn überrascht an.
Im ersten Moment begriff ich nicht, warum er mir so bekannt vorkam. Dann machte es Klick in meinem Kopf.
Schwarze, ölige Haare. Oberlippenbärtchen. Schmaler Mund. Das Lächeln genauso schmierig wie die Frisur.
Das war er! Der Typ vom Festival, den ich schon fast für ein Produkt meiner Fantasie gehalten hatte. Es gab ihn wirklich,
offenbar war er ein Kollege von Jakob. Er hockte keine zwei Meter von mir entferntund wischte Schokoladeneis vom Pflaster auf. Als er meinen Blick bemerkte, grinste er anzüglich und zwinkerte mir zu. Vor
meinen Augen begann sich alles zu drehen.
»Wie wär's mit einem neuen Rucksack?«, fragte Mama gerade. »Dein alter fällt ja bald auseinander. Du könntest ihn allmählich
ausrangieren, was meinst du?«
»Lass uns gehen.« Ich erhob mich schwankend von meinem Stuhl.
»Aber unsere Bestellung ist doch noch gar nicht gekommen.« Meine Mutter sah mich stirnrunzelnd an. »Was ist denn los?«
»Mir ist schlecht«, brachte ich hervor. Und das war nicht mal gelogen. »Ich muss hier weg. Sofort.«
Meine Mutter schien endlich zu kapieren, dass ich es ernst meinte. Sie stand auf und griff nach ihrer Handtasche. Ich
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