Nächte in Babylon
der Western Avenue, am südlichen Rand von Koreatown. Es war ein sonniger Tag, und draußen auf der Straße herrschte reges Treiben. Aber Perec hatte keinen Blick für den ethnisch bunt gemischten Strom aus Schwarzen, Weißen, Latinos und Asiaten, der sich unaufhörlich am Schaufenster vorüberschob. Perec gingen diese Leute am Arsch vorbei. Perec hatte nichts für sie übrig, scheißegal, wer sie waren und wie sie aussehen. Das hatte nichts mit Rassismus zu tun – Perec konnte einfach mit Menschen nichts anfangen. Sie waren ihm lästig. Hätte er mit einem Knopfdruck ganz Los Angeles ausradieren können, hätte er keine Sekunde gezögert. (Okay, Anna hätte er verschont.) Perecs Mutter hasste Menschen, weil sie glaubte, dass sie durch und durch böse waren und Gott mit ihrer verdorbenen Lebensweise gehörig auf den Senkel gingen. Perec hasste sie nicht, aber es wäre ihm lieber gewesen, sie würden von der Bildfläche verschwinden und ihn in Ruhe lassen. Ob sie durch ein Verbrechen oder eine Naturkatastrophe draufgingen, interessierte ihn dabei einen Dreck. Wenn er im Fernsehen die Zahl der Todesopfer hörte, die ein Bombenanschlag im Nahen Osten, ein Tsunami in Asien oder ein Bandenkrieg gleich um die Ecke in South Central gefordert hatte, dachte er bloß: Okay, wie viele müssen noch weg? Dabei hatte er noch nicht mal was gegen sie. Im Gegenteil, sie ließen ihn kalt. Hauptsache, sie kamen ihm nicht in die Quere.
Seine Kundin war eine mollige Koreanerin. Sie hatte schönes, wenn auch schon leicht gelichtetes Haar, das schwer zu bändigen war, wie dünnes, schwarzes Stroh. Er nahm eine Strähne in die Hand und kürzte sie vorsichtig mit dem Messer ein. Die Frau hatte bestimmt noch nie im Leben eine Pflegespülung benutzt. Perec überlegte, ob er ihr eine empfehlen sollte, aber so etwas kostete Geld, und sie würde sie sowieso nie benutzen. Eher früher als später würde sie kahle Stellen bekommen. Selber schuld. Imelda, eine der beiden philippinischen Friseurinnen, schwatzte fröhlich mit einer schwarzen Kundin. Manchmal tat es ihm leid, dass er sich nicht auch so ungezwungen unterhalten konnte, und sei es auch bloß, damit der Tag schneller rumging. Aber er hatte nichts zu sagen.
»Nicht zu kurz, nein?«, sagte die Koreanerin.
»Das ist nicht zu kurz«, sagte Perec.
»Sonst sehe ich aus wie Mann.«
»Es ist nicht zu kurz. Da, sehen Sie selber.«
Perec drehte sie zum Spiegel.
»Ha!«, rief die Koreanerin. »Ist zu kurz! Ist wie Rasenmäher!«
Perec zuckte mit den Schultern. Es war jedes Mal das Gleiche mit diesem Weib. Am liebsten hätte er sie mit einem Fußtritt vor die Tür befördert und nie wieder reingelassen. Aber wozu? Ein Kunde war wie der andere. Die schenkten sich doch alle nichts. Aasgeier und Schnorrer, die einen über den Tisch ziehen wollten. Es lief immer wieder aufs Gleiche raus. Die Welt war schlecht.
»Ich biege das wieder hin, okay?«
»Will hoffen, sonst zahle nicht.«
Er schnitt die Koreanerin zu Ende. Sie stand auf, sah in den Spiegel und schüttelte angewidert den Kopf. Er ging mit ihr zur Kasse.
»Haare wie Mann! Ich will billiger haben!«
»Sie kriegen keinen Rabatt.«
»Ich will Chef sprechen!«
»Ich bin der Chef.«
Mit saurer Miene blätterte die Frau das Geld auf die Theke und verließ, leise auf Koreanisch vor sich hin schimpfend, den Salon. Imelda warf Perec einen mitleidigen Blick zu und lächelte. Er ignorierte sie. Imelda war klein und ausgesprochen hübsch, und Perec kam es manchmal so vor, als ob sie mit ihm flirtete. Das wollte er nicht.
Eine junge Thailänderin kam herein, Anfang zwanzig, wunderschönes, langes schwarzes Haar. Sie lächelte Perec ebenfalls an. Er wurde rot und wandte den Blick ab. Ihm wurde ganz anders.
»Einmal nachschneiden, bitte«, sagte die junge Frau.
Perec nickte. Sie setzte sich auf den Stuhl und warf die Haare nach hinten. Wie ein schwarzer Wasserfall ergossen sie sich über die Rückenlehne.
»Zwei Zentimeter«, sagte sie. »Nur die Spitzen. Okay?«
Perec nickte und starrte auf ihren Hinterkopf. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte.
»Okay?«, wiederholte sie über die Schulter hinweg.
»Klar«, sagte er. »Nur die Spitzen.«
Zögernd berührte er ihre Haare. Streichelte sie. Wie Seide.
»Soll ich die Schere oder das Messer nehmen?«
»Wo ist der Unterschied?«
»Mit der Schere bekommt man eine stumpfe Schnittkante. Mit dem Messer schneidet man die Haare schräg an, dann liegen sie besser.«
»Aha«, sagte sie. »Ist
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