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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Soldaten des Tenno angerichtet hatten. Nun verloren sie alles, was sie besaßen, und mussten, sichtlich unter Schock, die Schmähungen der chinesischen Passanten über sich ergehen lassen.
    Auch Frau Kepler war nervös, so sehr sie sich bemühte, Gelassenheit zu demonstrieren. Immer wieder huschte ihr Blick durchs leere Schaufenster auf die Straße, als erwartete sie, jede Minute aus ihrem Geschäft geworfen zu werden. Geräumt war der Schreibwarenladen bereits, die Regale leer, nur im hinteren Raum standen noch Bett und Kochstelle. Erst jetzt begriff ich, dass sie die ganzen Jahre auf den paar Quadratmetern hinter ihrem Laden gelebt hatte, während ich selbstverständlich davon ausgegangen war, dass sie irgendwo in der Stadt eine Wohnung, eine Familie oder wenigstens einen Ehemann besaß.
    »Machen wir uns nichts vor«, sagte Frau Kepler. »Die alten Verträge haben schon seit zwei Jahren keine Gültigkeit mehr. Sobald Chiang Kai-shek seinen Fuß in die Stadt setzt, ist die Zeit der Kolonialmächte auch hier vorbei. England ist durch den Krieg auf Jahre geschwächt, Frankreich sowieso, Deutschland werden die Sieger unter sich aufteilen und dafür sorgen, dass es politisch nie wieder eine Rolle spielt.«
    »Das wäre schön«, erwiderte ich kühl.
    Frau Kepler zog die Brauen hoch. »Damit wir uns nicht missverstehen: Ich hätte nichts dagegen«, wies sie mich zurecht. »Ich bin seit zwanzig Jahren in Shanghai, ich habe Hitler nicht gewählt. Er war nie mein Führer , trotzdem werde ich, wie alle Deutschen, von den Folgen seiner Verbrechen betroffen sein. Angefangen damit, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann ich, die sich nichts hat zuschulden kommen lassen, aus diesem Land geworfen werde.«
    Ich schnappte nach Luft.
    »Ganz recht, auch ich bin eine Betroffene«, bekräftigte Frau Kepler.
    Der Zorn legte mir die Worte in den Mund. Wäre er nicht gewesen, ich hätte für alle Zeiten schweigen müssen.
    »Dass wir jüdischen Deutschen unser Land verlassen mussten, fanden Sie damals ganz in Ordnung«, erinnerte ich sie. »Wissen Sie noch …? Madagaskar? Yünnan? Jüdische Stadtteile und irgendwelche einsamen Inseln, weil keiner euch haben will ? Dass auch wir uns nichts hatten zuschulden kommen lassen, hat Sie gar nicht interessiert, Sie sind nicht einmal auf den Gedanken gekommen, dass irgendetwas an unserer Vertreibung nicht stimmte !«
    Frau Kepler wurde blass. »Was in den Lagern passiert ist, habe ich nicht gewusst! Ich war achteinhalbtausend Kilometer entfernt, wie hätte ich …«
    »Frau Kepler, hören Sie mir überhaupt zu? Meine Eltern und ich sind Berliner! Mein Vater hat eine Schublade voller Orden aus dem Weltkrieg, er wäre für Deutschland gestorben, er liebt es immer noch! Sie brauchen mir nicht zu erklären, was in irgendwelchen Lagern passiert ist. Erklären Sie mir nur, warum wir Ihrer Meinung nach gehen mussten.«
    Sie biss sich auf die Lippen. »Aber ich habe euch doch geholfen«, sagte sie leise.
    Ich fühlte, wie mich alle Kraft in Richtung meiner Beine verließ, damit ich nicht auf der Stelle umfiel.
    »Ich mache uns erst mal einen Tee«, entschied Frau Kepler rasch.
    Ich setzte mich an den kleinen Tisch, der immer noch an der Wand stand. Ich fragte mich, wo die Weltkarte geblieben war, an die nur noch ein heller Fleck an der Tapete erinnerte; ich fragte mich, ob die neuen Karten schon gedruckt worden waren oder ob erst einmal jemand erforschen musste, wie die Welt nach dem Ende des Krieges überhaupt aussah.
    Ich fragte mich: Wenn die Deutschen so denken … wenn sie nicht einmal begreifen wollen … wie können wir jemals zurückkehren?
    »Wann reist ihr ab?«, fragte Frau Kepler, als sie mit dem Tee zurückkam.
    Ich vermutete, dass sie die Antwort bereits kannte. Widerstrebend gab ich zu: »Noch nicht. Im Moment gelten wir als Displaced Persons .«
    Was das bedeutete, schwang mit, ob ich wollte oder nicht. Dass wir befreit worden waren, hieß nicht, dass die sogenannte freie Welt die Arme für uns ausbreitete. Die Quote für Australien, die Vereinigten Staaten und Palästina galt nach wie vor.
    »Wenigstens kommt bald wieder Post«, ergänzte ich rasch. »Dann erfahren wir endlich, wo unsere Verwandten sind.«
    Frau Keplers Hand, die meine Tasse hielt, begann jäh zu zittern. Tee schwappte auf die Untertasse und von dort auf den Tisch.
    »Herrje«, murmelte sie, »wie ungeschickt«, und eilte noch einmal nach nebenan, um einen Lappen zu holen.
    Sie blieb lange. Als sie endlich in den

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