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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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die Zähne.«

KAPITEL 10
     
Vieques Island, Puerto Rico
    L eos Anspannung wuchs mit jeder Minute der Überfahrt. Schon beim Besteigen der Fähre in Fajardo beschlich sie das Gefühl, einmal mehr einem Phantom nachzujagen. Nur blieb ihnen nichts übrig, als auf gut Glück zu versuchen, Maria Velàsquez auf diesem Eiland zu finden. Es war Wochenende, Samstag. Vielleicht der Tag, den die Gesuchte auf der Hauptinsel oder sonst weiß der Kuckuck wo verbrachte. Maria wohnte in Esperanza, dem zweiten größeren Ort der Insel.
    Sie mieteten einen Wagen und fuhren über sanfte Hügel und saftgrüne Weiden an die Südküste. Sie fanden das Haus der Familie Velàsquez an der Calle Acacia erst mit Hilfe einer Nachbarin. Es war ein verwittertes Holzhaus, das sich verschämt hinter Büschen versteckte und keine Nummer trug. Die Nachbarin klopfte und rief Marias Namen. Als niemand antwortete, murmelte sie etwas Unverständliches, dann rief sie nochmals aus Leibeskräften. Wieder blieb es still.
    »Sie sind nicht da«, stellte sie enttäuscht fest. »Dann sind sie wohl im Bananas. Der Alte hängt sowieso die meiste Zeit dort herum.« Auf Leos fragenden Blick fügte sie lachend hinzu: »Ach so, Sie kennen das Bananas nicht. Das ist ein Gasthaus an der Malecon, der Strandpromenade. Dort kennt man die beiden gut.«
    Die ausführliche Wegbeschreibung führte sie nach wenigen Minuten auf die Veranda des Bananas. Das Haus lag wie ein luftiges Kartenhaus im Schatten der Palmen an der sandigen Bucht. Der erste Blick auf die Gästeschar enttäuschte Leo. Keine Frau, außer zwei jungen Damen in schrillen Tops und Shorts, die nur Touristinnen sein konnten.
    »Wir suchen Maria Velàsquez. Wir dachten, sie wäre vielleicht hier«, erklärte sie dem Kellner.
    »War sie auch, aber sie ist vor einer Stunde gegangen. Ihr Vater sitzt dort am Geländer.« Bevor sie ihn daran hindern konnte, rief er dem alten Mann zu, was sie etwa mit: »Antonio, du hast Besuch!«, übersetzte.
    »Das Problem ist, dass wir leider kein Spanisch sprechen«, gab sie zu bedenken, aber der fixe Kellner war schon außer Hörweite.
    »Kann ja heiter werden«, murmelte Audrey, während sie auf den alten Mann zusteuerten. Leo kratzte verzweifelt die fremden Wörter zusammen, um ihm zu erklären, dass sie Maria suchten.
    Der Mann hörte aufmerksam zu, überlegte eine Weile, dann schrie er sie an: »Más alto!«, und hielt sich die Hand an die Ohrmuschel.
    »Da werden Sie kein Glück haben, Madam«, lachte einer seiner Tischnachbarn. »Antonio ist fast so taub wie sein Stock, und er meint, alle andern seien es auch. Sie suchen seine Tochter? Die war hier. Musste zur Arbeit.«
    Obwohl sie die Adresse der ehemaligen Klinik kannten, fragte Leo zur Sicherheit: »Wissen Sie, wo sie arbeitet?«
    Er zeigte nach Osten »Da drüben, im ›Bahía azul‹. Etwa drei Kilometer der Bucht entlang.«
    Audrey nickte ihr unauffällig zu. Der Ort stimmte. Mit einem freundlichen »Muchas gracias« verabschiedete sie sich von den Herren, ohne sich weiter darum zu kümmerte, was ihr der greise Antonio nachbrüllte.
    Die Bucht lag hinter ihnen, als die Strasse von der Küste wegführte. An einem schiefen Pfahl hing eine arg angerostete Tafel mit der überraschenden Aufschrift:
     
     
    WARNING
    RESTRICTED AREA
    It is unlawful to enter this area
    without the permission of the
    commanding officer
     
    »Wie’s aussieht, müssen wir erst den Colonel fragen, bevor wir ihn hier suchen dürfen«, spottete Audrey. »Auf jeden Fall wissen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Zur Zeit der Klinik war das mit Sicherheit militärisches Sperrgebiet.«
    »Wenn du es sagst«, brummte Leo. Sie mochte noch immer nicht an den Erfolg glauben, solange sie nicht mit dieser Maria gesprochen hatten.
    Das dichte Gebüsch zu beiden Seiten der Strasse lichtete sich plötzlich. Ein halbes Dutzend niedriger blauer Häuser mit makellos weißen Holzbalkonen und Veranden unter den leuchtend roten Dächern lagen wie die kitschige Karikatur ihrer selbst am palmengesäumten Strand in der Sonne. Kein Mensch war zu sehen. Nur die Autos auf dem Parkplatz deuteten darauf hin, dass das ›Bahía azul‹ keine leere Kulisse war.
    Audrey umschrieb die Melancholie der Szene treffend mit: »Sind wohl alle auf dem Golfplatz.«
    »Außer dem Personal, will ich hoffen«, murrte Leo. So nah sie auch dem Ziel sein mochte, es wollte keine Freude oder Erleichterung aufkommen. Sie fühlte sich niedergeschlagen, verbraucht durch die lange,

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