Nebeltod auf Norderney
hinrichtete, und kannte keine Gnade.
Herbert Stamm war im Besitze seiner vollen Geisteskraft, als er die Schüsse erst auf seinen Freund und wenig später, nach einer viertelstündigen Autofahrt, auf seine Frau abgab. Das Urteil des Gerichts lautete »lebenslang«. Da keine verwandtschaftlichen Adoptionswünsche vorlagen, verfügte das Jugendamt die Unterbringung der kleinen Marga in ein Kinderheim, das sich für die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes eignete. Die Wahl fiel auf das »Rafael-Haus«, ein katholisches Heim mit Tradition in Dormagen, im Landkreis Neuss. Eine Entscheidung, die auch Herbert Stamm begrüßte. Es war bekannt, dass die dort wirkenden Ordensschwestern ihr Amt mit äußerster Sorgfalt und Liebe versahen.
Ilona Büttgen hatte ihren Mann geliebt. Seine Untreue hatte sie schwer getroffen. Ihr Bruder arbeitete als Lehrer in Duisburg. Er stand ihr bei in den dunkelsten Stunden ihres Lebens. Trotz aller nachträglichen Verachtung ließ sie ihm eine christliche Beerdigung zuteil werden. Sie verkaufte das Haus in Neuss und zog nach Düsseldorf zu ihrer Mutter. Später heiratete sie einen Witwer, einen Kollegen ihres Bruders, der Vater eines Sohnes war. Die Kinder verstanden sich gut und bildeten mit ihren Eltern eine glückliche Familie.
In Margas neuer Umgebung war es für die Schwestern keine leichte Aufgabe, die Fragen des Kindes plausibel zu beantworten. Mit den notwendigen Abwechslungen, die das Kinderheim bot, gelang es schließlich, Marga an die neue Umgebung zu gewöhnen. Das Mädchen besaß eine ausgeprägte Vitalität. Es verdrängte mit ihrem starken Überlebenswillen die Bilder von ihrem Zuhause und schlief nachts ohne Störungen im Schlafsaal und ging tagsüber in der Gemeinschaft der Heimkinder auf.
Marga wuchs ohne Probleme zu bereiten heran. Bei der Einschulung in die erste Klasse stellte der Schulpsychologe fest, dass Marga Stamm die besten Voraussetzungen für gute Leistungen mitbrachte. Ihre schulische Ausbildung verlief äußerst erfolgreich, und die Ordensfrauen förderten besonders ihre geistige Entwicklung. Dabei hatte Marga schnell begriffen, dass sie ein Kind unter vielen war,und sah vor allem im Sport die Möglichkeit, sich hervorzutun. Sie war eine exzellente Langläuferin.
Schwester Innozenzia, eine strenge Nonne, war Marga Stamm als Tutorin vorgesetzt. Sie hatte das Mädchen in ihr Herz geschlossen und war bemüht, ihr den Weg ins Leben zu ebnen. Nach ihrer Herkunft fragte sie nicht.
Marga Stamm war im Heim nicht nur bei den Schwestern beliebt, sondern auch bei ihren Heimgenossinnen und -genossen. Sie hatte eine schlanke Figur und dunkelblondes Haar. Ihr Gesicht war gut geschnitten und wirkte mit den blauen Augen und der spitzen Nase kess. Überhaupt war ihre Art sich zu geben burschikos. Marga Stamm gehörte zu dem Drittel der Schüler, die weder im schulischen Bereich noch im klösterlichen Zusammenleben mit den Schwestern aneckten.
So war auch ihr Schulabschluss mehr oder weniger nur eine Frage der Zeit. Sie erwarb die Mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von 1,25. Schwester Innozenzia schlug ihr vor, auf das Gymnasium überzuwechseln. Marga Stamm lehnte das ab und entschied sich für eine kaufmännische Lehre in einem Dormagener Reisebüro. Sie wohnte weiterhin im Rafael-Haus und besuchte in Neuss die Berufsschule.
Natürlich war ihre Freiheit, verglichen mit den Jugendlichen herkömmlicher Art, eingeschränkt. Um 21 Uhr 30 war für sie Bettruhe, und es gab auch keine abendlichen Diskobesuche. Die Verantwortung für sie trug das Kloster.
Das änderte sich schlagartig, als sie achtzehn Jahre alt wurde. Das geschah gegen Ende Juni, kurz nach ihrer Prüfung zur Reisekauffrau, die sie übrigens mit »sehr gut« bestand.
Für Marga Stamm war es ein denkwürdiger Tag. Schon in der Frühe gratulierten Schwester Innozenzia und die Äbtissin des »Rafael-Hauses« ihr im Büro zum Geburtstag und eröffneten ihr, dass sie nun eigene Wege gehen könnte. Dabei bliebe sie im »Rafael-Haus« jederzeit willkommen. Doch danach wurden die Gesichter der Ordensfrauen ernst. Ihre Aufgabe war es nun, ihr mitzuteilen, wer sie eigentlich war.
Schonend brachten sie Marga bei, dass sie die Tochter des Filialleiters Herbert Stamm war, der in der Strafvollzugsanstalt Lingen ein Leben lang hinter Gittern saß, weil er ihre Mutter und ihren Freund erschossen hatte, die ihn betrogen hatten. Es stand ihr frei, ihren Vater im Gefängnis zu besuchen. Er hatte all die Jahre
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