Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
hätte ihm Harry vielleich t ein Grinsen spendiert, doch in diesem Moment kreisten einfach zu viele Fragen in seinem Kopf.
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»Warum waren Torhus und die Polizeipräsidentin in Oslo darüber nicht informiert?«
»Wer sagt, dass die nicht informiert waren?«
Harry spürte einen Druck irge ndwo hinter seinen Augen. Er sah sich nach etwas um, was er kaputtschmeißen könnte.
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KAPITEL 38
Bjarne Møller stand am Fenster und blickte nach draußen. Es sah nicht so aus, als wollte die Kälte sie in nächster Zukunft aus ihren Klauen entlassen. Die J ungs fanden das großartig, w enn sie mit vor Frost schm erzenden Fingerkuppen und roten Wangen zum Abendessen nach Hause kam en und sich darüber stritten, wer m it seinen Skiern den weitesten Sprung gemacht hatte.
Die Zeit verging so schnell, es sch ien ihm gar nicht so lan ge her zu sein, dass er sie zwischen seinen Beinen festgehalten und mit ihnen die Hügel am Grefsenkollen hinuntergepflügt war.
Gestern war er zu ihnen ins Zimmer gegangen und hatte sie gefragt, ob er ihnen etwas vorlesen solle, doch sie hatten ihn nur seltsam angesehen.
Trine hatte gesagt, er w irke müde. War er das? Vielleicht. Es gab so viel zu bedenken, vielleicht mehr, als er sich beim Antritt seiner Stelle als Dezernatsleiter vorgestellt hatte. Wenn es nicht um irgendwelche Berichte, Sitzungen oder Budgets ging, stand einer seiner Leute m it einem Problem vor seiner Tür, das er nicht lösen konnte – dass eine Frau die Scheidung wollte, dass die Raten für das Haus zu hoch wurden oder dass die Nerven begannen, verrückt zu spielen.
Die Polizeiarbeit, auf die er sich gefreut hatte, als er diesen Job annahm, das Leiten von Erm ittlungen, war fast zur Nebensache geworden. Und er hatte sich noch immer nicht abgefunden m it dem versteckten Aufgabenbereich, de m Text zwischen den Zeilen, den Karrierespielchen. Manchmal fragte er sich, ob er nicht weitermachen hätte sollen wie vorher, aber er wusste, dass Trine auf die zusätzlichen Besoldungsstufen Wert legte. Und die Jungs wollten Sprungski. Und es war vielleicht auch an der Zeit, dass sie den PC beka men, den sie schon so lange forderten.
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Kleine Schneeflocken wirbelten an die Scheibe. Er war wirklich ein verdammt guter Polizist gewesen.
Das Telefon klingelte.
»Møller.«
»Hier ist Hole, hast du das wirklich die ganze Zeit gewusst?«
»Hallo Harry, bist du das?«
»Hast du gewusst, dass ich ganz speziell ausgesucht wurde, weil sie s icher sein wollten, da ss bei diesen N achforschungen nichts herauskommt?«
Møller senkte seine Stimme. Er hatte die Sprungski und den PC vergessen. »Mom ent mal, ich glaube, ich verstehe nicht richtig, von was du redest.«
»Ich will nur von dir hören, dass du nicht wusstest, dass ein paar Leute in Oslo von Anfang an einen Verdacht hatten, wer diesen Mord begangen haben konnte.«
»O.k., Harry, ich hatte keine Ahnung davon … das heißt, ich habe nicht die geringste Ahnung, von was du da redest.«
»Die Polizeipräsidentin und Dagfinn Torhus wussten seit dem Mord, dass eine halbe Stunde vor Molnes’ Ankunft im Motel ein Norweger namens Ove Klipra gemeinsam mit dem Botschafter in dessen Auto von Klipras Haus weggefahren war. Sie wissen ferner, dass Klipra ein verdam mt gutes Mo tiv hatte, d en Botschafter zu töten.«
Møller ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
»Und das wäre?«
»Klipra ist einer der reichsten Männer Bangkoks und der Botschafter war in Geldnot. Auf seine Initiative hin gab es höchst illegale Ermittlungen gegen Klipra wegen Kindesmiss-brauchs, und als er gef unden wurde, hatte er Bilder von Klipra mit einem Jungen in seinem Aktenkoffer. Es ist wirklich nicht so wahnsinnig schwer, sich vorzu stellen, warum er bei Klipra war. Es muss Molnes gelungen sein, Klipra zu überzeugen, dass 301
er allein hinter der Sache stand und selbst die Fotos gemacht hat.
Vermutlich hat er ih m dann einen Preis f ür die ›Neg ative‹
genannt, so nennt man das doch, oder? Natürlich war es unmöglich herauszufinden, wie viele Ab züge es von den Bildern gab.
Ebenso wenig f ällt es schwer, sic h vorzustellen, dass Klipra begriffen hat, dass ein spiels üchtiger Erpresser wie der Botschafter garantiert irgendwann wieder vor seiner Tür stehen würde. Wieder und wieder. Vielleic ht hat Klipra eine Tour m it dem Wagen vorgeschlagen, ist dann bei einer Bank ausgestiegen und hat Molnes gebeten, im Motel auf ihn zu warten, bis er das Geld hatte. Als Klipra dann kam , brauchte er
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