Nesser, Hakan
nach einigen
Momenten der Verlegenheit fragt er, mit was für einer Art von Schreibarbeit ich
beschäftigt sei. Ich erzähle, dass ich Schriftsteller bin und dass ich denke,
dass es ein Roman wird, an dem ich arbeite.
Wieder
lacht er, ein tiefes, zufriedenes Lachen, und ich frage mich insgeheim, wie
seine Lebensgeschichte wohl aussieht. Ist er verheiratet? Oder gewesen? Hat er
Kinder und Enkelkinder, und womit hat er sich beschäftigt? Aber das hat keine
Eile, es ist klar, dass wir mit der Zeit schon so weit kommen werden. Stattdessen
gebe ich seine Frage zurück:
»Und
was schreiben Sie selbst?«
Er
lehnt sich zurück und gönnt sich ein paar Sekunden, um Nachdenken
vorzutäuschen: »Eine Art Memoiren, nehme ich an.«
Ich
nicke. Trinke einen Schluck Wasser und warte ab.
»Nichts
Besonderes. Ich habe keinen Verlag oder Agenten, es ist eher für mich selbst.
Wenn man alt wird, möchte man gern diverse Fragezeichen ausmerzen, zumindest
das eine oder andere. Und es wird einem einiges klarer, wenn man es aufschreibt,
aber das brauche ich einem Schriftsteller wohl nicht zu erzählen?«
»Nein«,
bestätige ich. »Das stimmt, im besten Fall fungiert Sprache auf diese Art und
Weise.«
»Sie
meinen, es kann auch genau andersherum sein?«
»Ich
fürchte, ja«, sage ich.
Er
bleibt schweigend sitzen, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. »Ich nehme an,
Sie sind verheiratet?«, fragt er nach einer Weile.
Ich
gebe zu, dass es sich so verhält, und frage, wie es mit ihm in dieser Beziehung
steht. Wir sind höflich wie zwei alte Mandarine.
»Gewesen«,
stellt er etwas wehmütig fest. »Meine Frau ist vor zehn Jahren gestorben. Wir
haben nie Kinder bekommen, aber es ging uns gut miteinander. Bis auf ein paar
Monate fast ein Vierteljahr hundert lang.«
Unser
Fleisch und unser Salat kommen, und eine Weile essen wir schweigend. Mir fällt
auf, wie schnell er von meiner Behauptung, dass Sprache ein Hindernis sein
kann, zu der Frage gekommen ist, ob ich verheiratet bin, beschließe aber,
diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Ich überlege auch, wie alt er wohl
sein mag. Um die siebzig vermutlich, vielleicht schon an die fünfundsiebzig,
aber weder Körper noch Kopf erscheinen besonders gebrechlich. Trotz seiner
Probleme mit der Hüfte hat er bei unserem Spaziergang das Tempo gut gehalten.
»Gut?«,
fragt er und zeigt mit der Gabel auf meinen Teller. Wie alle Amerikaner hat er
sein Fleisch in kleine Stückchen geschnitten und dann das Messer abgelegt.
»Ausgezeichnet«,
versichere ich ihm.
»In
dieser Stadt muss man
nie schlecht essen«, sagt er. »Wenn ein Restaurant einen schlechten Ruf hat, muss es in der Regel innerhalb eines halben Jahres schließen. Die
Leute gehen woanders hin.«
Ich
erkläre ihm, dass das mit meiner kurzen Erfahrung übereinstimmt. Ich weiß
eigentlich nichts von Restaurants, die hätten schließen müssen, aber meine
Frau und ich, wir sind uns einig, dass wir noch nie so gut und
abwechslungsreich gegessen haben wie in New York.
»Was
arbeitet sie?«, fragt er bei dieser Gelegenheit. »Ihre Frau.«
»Sie
ist Künstlerin«, antworte ich. »Malerin.«
Ich
habe das Gefühl, ich sollte noch mehr zu Winnie und unserer Beziehung sagen,
und zu dem Grund, warum wir hierher gezogen sind, aber ich finde nicht die
richtigen Worte. Nicht die richtigen Ausflüchte, Mr. Edwards sieht es mir
anscheinend an, denn über einer seiner Augenbrauen entwickelt sich eine kleine
Sorgenfalte. Wir essen weiter, ohne etwas zu sagen.
»Und
Sie selbst?«, frage ich dann. »Was haben Sie gearbeitet? Denn ich vermute, dass
Sie pensioniert sind?«
»Eine
vollkommen richtige Vermutung«, bestätigt er und wischt sich etwas umständlich
mit der Serviette den Mund ab. »Es ist sechs Jahre her, dass ich mit dem
Arbeiten aufgehört habe. Ich habe mich später zwar noch dem einen oder anderen
Fall gewidmet, aber das immer nur unter besonderen Bedingungen.«
»Fall?«,
hake ich nach.
»Entschuldigen
Sie«, sagt er mit einem kurzen Lächeln. »Ich habe die letzten zwanzig Jahre als
Privatdetektiv gearbeitet. Ich habe vergessen, das zu sagen.«
»Privatdetektiv?«
»Ja.
Nach zwanzig Jahren bei der Polizei habe ich mich sozusagen selbstständig
gemacht.«
Wieder
lässt er sein tiefes Lachen vernehmen. »Das ist im Kino und in den Büchern sehr
viel glamouröser als in der Wirklichkeit, das kann ich Ihnen versichern.«
»Das
kann ich mir denken«, sage ich. »Dann sind es wohl Fragezeichen aus Ihrem Berufsleben,
die in den
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