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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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und blättert einen
Augenblick lang vor und zurück. Ich sitze schweigend da und warte.
    »Also«,
sagt er und räuspert sich umständlich. »Ich kann Folgendes berichten.«
    Ich
spüre einen leichten Metallgeschmack auf der Zunge.
    »Ihre
Ehefrau hat Ihre Wohnung in der Carmine Street
gestern kurz nach elf Uhr morgens verlassen. Sie ging zur Metrostation an der
Siebten Avenue und nahm den V-Zug bis zur 34. Straße. Hier stieg sie aus und
ging bis zur 36., dort betrat sie die Schwimmhalle zwischen der Fünften und der
Sechsten Avenue. Hat gut drei Stunden dort verbracht, und...«
    »Mein
Gott«, unterbreche ich ihn, »es war ja nicht geplant, dass Sie die ganze
Zeit...«
    Er
wedelt abwehrend mit der Hand. »Kein Problem. Es liegt ein kleines
italienisches Restaurant gegenüber. Und ich habe immer Lektüre bei mir. Warten
ist ein grundlegender Bestandteil aller Detektivarbeit.«
    Ich
nicke. »Und dann?«
    Er
schlägt ein Blatt seines Notizblocks zurück und räuspert sich erneut. »Jetzt
kommen wir zu dem Interessanten. Sie hat das Schwimmbad um zwei Uhr
fünfunddreißig verlassen, ist in einen Delikatessenladen gegangen und hat Suppe
mit Brot sowie einen Salat gegessen, ungefähr zwischen zwei Uhr fünfundvierzig
und drei Uhr. Dann ging sie die Siebte Avenue weiter Richtung Süden bis zur Perry Street. Hier bog sie nach rechts ab und überquerte die
Vierte und Bleecker, und gleich nach der Bleecker, in Nummer 95, ging sie die
Treppe hinauf - ohne zu zögern, wie man wohl anmerken sollte -, klingelte und
wurde nach zehn Sekunden hineingelassen. Das ist ein vierstöckiges Stadthaus,
und sie ist dort mindestens fünfundvierzig Minuten geblieben. Leider war ich gezwungen,
meine Arbeit um vier Uhr abzubrechen, um noch zu meinem Arzttermin zu kommen.«
    »95 Perry Street?«, frage ich.
    »Genau«,
bestätigt Mr. Edwards, kratzt sich am Kopf und nickt. »Nicht mehr als fünf,
sechs Häuserblocks von hier entfernt.«
    »Und
es gibt keinen Zweifel?«
    »Es
gibt keinen Zweifel.«
    »Was...
ich meine, was hat sie da gemacht?«, frage ich dumm.
    Mr.
Edwards trinkt einen Schluck Kaffee, leckt sich den Schaum von den Lippen und
schiebt sich die Brille auf die Nasenspitze hinunter. »Darauf kann ich keine
Antwort geben«, sagt er. »Es gibt keinen unproblematischen Spähposten bei dieser
Adresse, ich hatte keinen Einblick. Aber ich bin natürlich die Außentreppe
hochgegangen und habe nachgesehen, wer dort wohnt. Bitte schön.«
    Er
dreht den Block so herum, dass ich selbst lesen kann. »Es sind offenbar nur
drei Wohneinheiten«, fügt er hinzu. »Denkbar, dass die beiden obersten
Stockwerke miteinander verbunden sind.«
    Ich
studiere die Namen von oben nach unten.
     
    Lenovsky
    Grimaux
    Perriman
     
    Bevor
ich noch die absurde Verbindung erkenne, zeigt er mit dem Stift auf den
mittleren Namen. »Dieser hier«, sagt er. »Ich weiß nicht, was Sie denken, aber
vielleicht geht es um den. Hinter seinem Namen klebt ein kleines Metallschild. Parapsychological Advice and
Psychic Readings.«
    » Psychic
Readings?«, wiederhole ich.
    »Ja,
ich weiß nicht«, brummt Mr. Edwards und zuckt mit den Schultern. »Was denken
Sie?«
    Ich
antworte nicht. Habe keine Ahnung, was ich denke. Mr. Edwards redet noch eine
Weile weiter, dass er bereit ist, die Aktivitäten meiner Frau im Laufe der
nächsten Tage noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, aber es fällt mir
schwer, ihm konzentriert zuzuhören. Ich halte mich an der Tischkante fest und
versuche mein Gleichgewicht wiederzufinden. Ich habe das Gefühl, dass meine
Wahrnehmung gerade einen kräftigen Stoß abbekommen hat. Draußen gleiten gelbe
Taxis vorbei, der Regen hat zugenommen, eine dünne, kleine Kellnerin mit
dunklem, kurz geschnittenem Haar sitzt zusammengekauert auf einem hohen Hocker
an der Kasse und feilt sich die Nägel. Ich versuche zu begreifen, warum ein
französischer Lyriker des Surrealismus, der sich 1933 das Leben genommen hat,
denselben Namen trägt wie ein Zeichendeuter und Hellseher, den meine Ehefrau
aufsucht, weil unsere Tochter entführt wurde.
    Sechs
Fuß unter der Erde...
    Dieselbe
Stadt, vierundsiebzig Jahre später. Ich beschließe - sobald ich mich wieder
gefangen habe -, darüber selbst einiges in Erfahrung zu bringen, bevor ich Mr.
Edwards' Dienste wieder in Anspruch nehme.
    »Sie
sehen blass aus«, sagt er.
    »Ich
habe letzte Nacht schlecht geschlafen«, erkläre ich.
     
    Bernard
Grimaux wurde 1899 in Rouen geboren und starb vierunddreißig Jahre später

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