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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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oder das gerade von den Einwanderern aus Deutschland so gefürchtete Wort »Refugee« gebrauchte. Die kleinen Zuckermans hatten zwar alle eindeutig jüdische Vornamen, aber englische Lehrer konnten die ganz mühelos aussprechen. Schließlich hießen viele Jungen in der Schule David, Samuel oder Joshuah.
    Nur die permanenten Anstrengungen seiner Eltern, nicht aus dem Rahmen zu fallen, machten David zu schaffen. Um ein Haar hätte seine Mutter ihn überredet, in seinem Jahresaufsatz die Schweiz als das Land auszuwählen, in das er gern reisen wollte. »In der Schweiz hast du alles«, hatte seine Mutter aufgezählt, »Berge und Seen, große Städte und Dörfer, alte Häuser und nagelneue. Dort wächst Enzian, die Kühe haben Glocken um den Hals, und es ist alles blitzsauber und ordentlich. Ich habe mir als junges Mädchen immer gewünscht, mal in die Schweiz zu kommen. Meine Mutter war dort auf einer ganz feinen Mädchenschule gewesen, um Französisch und Kochen zu lernen. Um ihre Hechtklößchen haben wir uns immer geschlagen.«
    »Soll der Junge auch kochen lernen und seine Geschwister sich um seine Hechtklöße schlagen? Und Französischlehrer gibt es auch hier. Ich kenne sogar einen«, wusste ihr Mann. »Er steht in der Synagoge neben mir, seine Frau schwärmt für rote Krawatten und kocht mit zu viel Knoblauch. David, viel wichtiger ist doch, dass die Schweiz seit Jahrhunderten keinen Krieg mehr geführt hat. Darüber lässt sich doch bestimmt etwas Gescheites schreiben. Vor allem musst du bedenken, dass Südafrika im Krieg gegen Deutschland gekämpft hat. Dass du ausgerechnet ins Land der Feinde reisen willst, könnte dir dein Lehrer übelnehmen, und das muss ja auf die Note drücken.«
    »Aber mir geht es ja nicht um die Deutschen. Mir geht es doch um meine Großmutter. Und meine übrigen Verwandten.«
    »Mir ist das klar, nur wer ist schon so klug wie dein Vater, dem sein Vater ganz früh beigebracht hat, dass jeder Mensch anders ist? Gerade in diesem Land haben viele Leute nicht den Grips, um zu begreifen, dass die Juden nicht für Hitler waren, sondern von ihm ermordet worden sind. Leider ist es im Leben so, dass man mit der Dummheit der Mehrheit rechnen muss.«
    Es war erst Sam Oppenheim, der sich die Mühe machte, ernsthaft auf einen zwölfjährigen Jungen einzugehen, der in Südafrika geboren und in Südafrika zu Hause war, der in der Muttersprache seiner Eltern nur die Worte »Kraut«, »Fräulein« und »Nazi« kannte und der sich vorstellte, alle Deutschen wären blond, fleißig und grausam, hätten keinen Humor, aber eine Kuckucksuhr und einen Schäferhund. »Kannst du dir denn überhaupt ausmalen, David, wie es ist, vor einer fremden Frau zu stehen und ihr zu sagen: ›Ich bin dein Enkelsohn‹?«
    »Das ist genau der Satz, den ich nachts probe, wenn ich im Bett bin. ›Ich bin David Zuckerman, dein Enkelsohn.‹ Ich muss das ganz langsam und deutlich sagen, weil alte Leute doch schnell erschrecken, wenn etwas passiert, womit sie nicht gerechnet haben. Sie kennt mich nicht. Aber sie kennt mich doch. Ich schreibe ihr nämlich jeden Monat. Ich muss das nicht. Es macht mir Freude. Sie antwortet auf jeden Brief, und sie hat auch gemerkt, dass ich Schriftsteller werden will, obwohl ich ihr das nicht geschrieben habe. Das wissen noch nicht mal meine Eltern. Meine Großmutter hat schon den Ersten Weltkrieg erlebt, und wer Ohm Krüger war und was in Mafeking geschehen ist, weiß sie auch. Meiner Mutter musste ich das erst beibringen. Großmutter interessiert sich für meine Pfadfindergruppe und wusste auch, wer Lord Baden-Powell war. Zu Channuka habe ich ihr einen Klippschliefer gemalt, weil dessen Frau Klippschliefer so liebt, dass sie immer einen zahmen auf der Schulter hat. Großmutter hat sofort in einem Lexikon nachgeschlagen und herausbekommen, dass Klippschliefer und Elefanten verwandt sind. Das habe ja noch nicht mal ich gewusst.«
    »Langsam, David. So schnell, wie du redest, kann ein alter Mann nicht denken. Nein, ich lache dich nicht aus. Wahrhaftig nicht. Was du mir heute erzählt hast, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Wie alt ist denn deine Großmutter? Hat sie etwa in Deutschland überlebt, oder ist sie nach dem Krieg aus dem Ausland dorthin zurückgegangen?«
    »Achtundsiebzig. Sie war in einem Konzentrationslager. Es hieß Theresienstadt. Hast du schon mal davon gehört, Sam?«
    »Leider ja, David. Ich kann dich verstehen. Sehr gut sogar. Kinder haben eine besondere Beziehung zu ihren

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