neue SF 1
zu sein, daß bestimmte Figuren von Story zu Story wiederkehren. Wenn ich sie »Figuren« nenne, sind sie dem Leser vielleicht nicht immer sofort als solche erkennbar, sondern eher als mit Namen belegte Bereiche des Bewußtseins oder des Typus.
BALLARD : Ja, ich sehe sie nicht als »Figuren« in der konventionellen Bedeutung dieses Begriffes; sie sind Aspekte bestimmter Charaktersituationen. Sie haben nicht denselben Namen, sondern tragen Abarten desselben Namens.
M ACBETH : Ich erinnere mich da an einen bestimmten Fall. In einer Story gibt es eine Gestalt Tallis, und einen Mann Traven in einer anderen – und beiden scheint etwas gemein zu sein.
BALLARD : Ja, in letzter Konsequenz sind sie die gleiche Figur, doch gemäß ihrer Rolle in den Stories sollen sie nicht Figuren sein, wie etwa Scobie oder irgendein anderer Typ aus einem retrospektiven Roman Figuren sind, identifizierbare Menschen wie aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis und so weiter.
MACBETH : Könnten wir mal ein konkretes Beispiel aus You and Me and the Continuum nehmen – Dr. Nathan, der anscheinend Psychiater ist, soweit ihn der Leser oder Zuhörer überhaupt mit einem Etikett versehen kann?
Könnten Sie schildern, welche Funktion er in der Story hat?
BALLARD : Nun, er taucht nur kurz auf. Er erscheint als Psychiater. Er hat Bezug zu den anderen Psychiatern in den anderen Geschichten, die ihrer Rolle nach die Ereignisse der Erzählung vom Standpunkt der klinischen Folgerungen aus analysieren.
MACBETH : Die zentrale »Bewußtheit« oder der Bereich des Charakters in der Story ist in mancher Beziehung oft ein Bild aus vielen Teilen, jemand, der eine extreme Situation oder eine psychologische Krise oder eine öffentliche Krise durchgestanden hat; jemand in einem Irrenhaus, der zugleich auch der Pilot eines abgestürzten Bombers sein kann, und so weiter. Was versuchen Sie mit dieser Art verschmolzenem Bewußtsein zu erreichen?
BALLARD : All diese Figuren funktionieren auf mehreren Ebenen. Ich meine, daß die fiktiven Elemente des Erlebens inzwischen derart zugenommen haben, daß es fast unmöglich ist, zwischen dem Realen und dem Falschen zu unterscheiden, so daß man viele Schichten, viele Ebenen des Erlebens zugleich in sich hat. Auf der einen Ebene läßt sich vielleicht die Welt der öffentlichen Ereignisse sehen. Cape Kennedy, Vietnam, das politische Leben, auf einer anderen Ebene die unmittelbare persönliche Umgebung, die Zimmer, in denen wir wohnen, das Verhalten, das wir an den Tag legen. Auf einer dritten Ebene liegt die Innenwelt des Geistes. All diese Ebenen scheinen, soweit ich sie ausmachen kann, gleichermaßen nichtreal zu sein, und nur wo sich diese Schichten berühren, erhält man die einzige Art Realität, die es heute tatsächlich gibt. Die Personen in meinen Geschichten nehmen Positionen auf diesen verschiedenen Ebenen ein. Dabei ist eine Figur einmal ein winziger eingebildeter Punkt auf der gewaltigen Reklametafel für ein Cinemascope-Werk; auf einer anderen Ebene ist sie ein einfacher Mensch, der das Hin und Her des täglichen Lebens durchlebt; auf einer dritten Ebene ist sie ein Märchenwesen der eigenen Phantasievorstellungen. Diese verschiedenen Aspekte des Charakters wirken aufeinander ein und bringen die Hauptrealität der erzählenden Literatur hervor.
MACBETH : Ja, ich glaube, dieses Schichtenelement kommt auch in der Dichte einiger Ihrer Stories zum Ausdruck – die Art und Weise, wie Sie Bezüge auf eine Vielzahl verschiedener Dinge zusammenbringen. Wenn Sie gestatten, möchte ich als interessantes Beispiel einen Absatz aus You and Me and the Continuum vortragen – ein Bild, wie es der Art nach in einigen der Geschichten vorkommt:
Kodachrome. Captain Kirby, MI5, studierte die Abzüge. Sie zeigten: (1) einen stämmigen Mann in Air-Force-Jacke, das unrasierte Gesicht halb hinter dem eingebeulten Käppi verborgen; (2) einen Rückgratsquerschnitt T-12; (3) ein Kreide-Selbstbildnis von David Feary, siebenjähriger Schizophrener aus dem Belmont-Asylum, Sutton; (4) Radio-Spektra des Quasar CTA 102; (5) Front-Radiograph eines Schädels, geschätztes Fassungsvermögen 1500 cc; (6) Spektro-Heliogramm der Sonne; (7) Handabdrücke rechts und links, mit schwerer Vernarbung zwischen den zweiten und dritten Mittelhandknochen. An Dr. Nathan gewandt fragte er: »Und all das ergibt ein Bild?«
BALLARD : Genau. Es ergibt ein zusammengesetztes Portrait der Identität dieses Mannes. In dieser Geschichte habe ich
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