neue SF 1
besonders die Rolle untersucht, die ein Messiah im zwanzigsten Jahrhundert spielen könnte, inmitten des modernen Lebens, und ich meine, daß er in einer ganzen Reihe von Aspekten und Beziehungen wiedererscheinen und eine gewaltige Kette von Ereignissen berühren würde, so daß er keine einzelne Identität haben könnte, wie etwa Jesus sie hatte – er würde unzählige Kontakte mit den verschiedensten Punkten haben.
M ACBETH : Ja, das verstehe ich, aber warum kehren bestimmte Bilder immer wieder? Sie sagen jetzt vielleicht, daß es angebrachte und unvermeidbare Bilder sind, doch Sie scheinen als Autor doch eine Art Vorliebe für bestimmte Bildvergleiche zu haben, zum Beispiel gewisse Landschaften – Landschaften, in denen Sand eine Rolle spielt, lassen sich immer wieder finden. Könnten Sie näher erläutern, wie es dazu kommt?
BALLARD : Ich meine, daß die Landschaft eine Ausprägung von Raum und Zeit ist und daß die äußeren Landschaften unmittelbar eine innere Stimmung reflektieren. Tatsächlich sind die einzigen äußeren Landschaften, die überhaupt eine Bedeutung haben, jene, die – im zentralen Nervensystem, wenn Sie so wollen –, durch ihre unmittelbaren Entsprechungen reflektiert werden. Ich glaube, Dali hat einmal gesagt, daß der Geist ein Landschaftszustand ist, und ich halte das für absolut richtig.
M ACBETH : Sie ziehen in vielen Ihrer Geschichten konkrete Parallelen zwischen Abbildungen menschlicher Körperteile und bestimmten Landschaften, nicht wahr?
BALLARD : Ja, in der Geschichte You, Coma, Marilyn Monroe stelle ich die physischen Aspekte von Marilyn Monroes Körper in eine unmittelbare Gleichung mit der Dünenlandschaft um sie. Der Held der Geschichte versucht diese spezielle Gleichung zu begreifen und erkennt, daß der Selbstmord Marilyn Monroes tatsächlich eine Katastrophe in der Raumzeit ist, etwa wie die Explosion einer Satellitenkapsel auf Umlaufbahn. Es ist nicht so sehr eine persönliche Katastrophe, obwohl natürlich Marilyn Monroe den Selbstmord als Frau begangen hat, sondern eine Katastrophe in einer ganzen Vielfalt von Beziehungen dieser Filmschauspielerin, die uns in unzähligen Anzeigen, auf tausend Magazintitelbildern und so weiter dargebracht wird, deren Körper zum Teil der äußeren Landschaft unserer Umgebung wird. Die riesige Gestalt Marilyn Monroes auf einer großen Kinoanschlagfläche ist ein ebenso realer Teil unserer äußeren Landschaft wie jede Gruppe von Bergen oder Seen.
MACBETH : Benutzen Sie den Surrealismus absichtlich als Bezugspunkt in diesen Stories? Sehr oft erwähnen Sie Dali oder manchmal auch Ernst und tatsächlich existierende Bilder dieser beiden. Inwieweit besteht eine direkte Verbindung zwischen diesen Bildern und den Ereignissen oder Beschreibungen in Ihren Geschichten?
BALLARD : Die Verbindung ist absichtlich, weil ich meine, daß die Surrealisten eine Reihe gültiger äußerer Landschaften geschaffen haben, die in unserem Geist ihre direkten Entsprechungen haben. Ich gebrauche oft den Begriff »Rückgratlandschaft«. Und in diesen Rückgratlandschaften, wie sie meinem Gefühl nach Maler wie Ernst und Dali hervorbringen, findet man ein Grenzland (ein Gebiet, das ich »inneren Raum« genannt habe) zwischen der Außenwelt der Realität auf der einen und der inneren Welt der Psyche auf der anderen Seite. Freud hat betont, daß man zwischen dem augenscheinlichen Inhalt der inneren Welt der Psyche und ihrem latenten Inhalt unterscheiden muß, und meiner Meinung nach muß man auf die gleiche Weise heute, da die nichtrealen Elemente die Wirklichkeit überwältigt haben, zwischen dem augenscheinlichen Inhalt der Realität und ihrem latenten Inhalt unterscheiden. Tatsächlich scheint die Hauptaufgabe der Künste zunehmend darin zu liegen, die realen Elemente in diesem Fiktionsgulasch von den nichtrealen zu trennen, und das Terrain »innerer Raum« beschreibt das annähernd.
MACBETH : Ja, man hat oft das Gefühl, daß bestimmte Ereignisse in Ihren Geschichten, soweit es überhaupt »Ereignisse« sind, in einem Gemälde von Dali stattfinden könnten. Ich habe beim Lesen Ihrer Stories auch das Gefühl, daß den Beschreibungen eine Art halluzinatorische Lebhaftigkeit und Klarheit anhaftet, die mich an bestimmte Filme der 60er Jahre erinnert. Meinen Sie, daß Sie vom Film beeinflußt werden?
BALLARD : Von einigen Filmen schon. The Savage Eye machte einen gewaltigen Eindruck auf mich, weil der Streifen eine völlig fragmentisierte und quantifizierte
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