Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers
Menschlichkeit des Commissario aus Vigàta als Hommage an den europäischen Krimi im Kontrast zum amerikanischen (In Italien haben auch Detektive eine Seele) oder die Nähe zur Wirklichkeit, die auch die Montalbano-Geschichten auszeichnet (Montalbano und die Realität: Wie meine Krimis entstehen).
Camilleri betrachtet die Realität, in der er lebt, im Allgemeinen nüchtern und ironisch. Unter den Jahreszeiten herrscht absolute Anarchie, und als in den Fernsehnachrichten tunesische Kinder bei einer Schneeballschlacht zu sehen sind, fürchtet Camilleri einen Augenblick, auf den nächsten Bildern könnten kleine Eskimos Sandburgen bauen (Die Jahreszeiten haben keine Manieren mehr). Jeder jammert über die schreckliche Hitze im Juni, doch der sizilianische Schriftsteller mag in den Chor der Unzufriedenen nicht einstimmen und erinnert an das römische Tagebuch von Stendhal, der im Juni festhält, dass es »drückend heiß« sei (Je heißer, je lieber).
Laut einer Umfrage haben 53 Prozent der Italienerinnen nie einen Orgasmus; Camilleri ergreift Partei für die Männer, er stellt sich vor, er rede mit den unbefriedigten Frauen »durch ein Gitter wie im Beichtstuhl« und schließt mit einem augenzwinkernden Lächeln: »Jetzt, wo ich meine Pflicht bei den 53 Prozent unbefriedigter Frauen erfüllt habe, würde ich gern mit den übrigen 43 Prozent reden. Ohne Gitter.« (Umschwung unter der Bettdecke)
Angesichts eines Erlasses, der den mehr oder weniger langen Warteschlangen in Amtsstuben den Garaus machen soll, tritt er für die Erhaltung der Schlangen ein (Die schnelle Warteschlange).
Doch die Ironie geht oft Hand in Hand mit Reflexion, bisweilen ist sie sogar die einzige Möglichkeit, sich mit Meldungen auseinander zu setzen, die alles andere als erfreulich sind. Das Tragische an Wenn Krieg eine Frage der Manneskraft ist wird gemildert durch die Theorie eines englischen Journalisten, nach der Saddam Hussein Kuwait nur angegriffen hat, um der Welt zu beweisen, dass er seine Manneskraft wiedererlangt hat.
Einer Umfrage gemäß wissen römische Kinder nicht mehr, wie ein Huhn aussieht. Das Drama präsentiert der gesellschaftskritische Camilleri in Sechs Beine hat das Huhn, einem Musterbeispiel ironischer Darstellung.
Giovanni Capecchi
B IBLIOGRAPHISCHE HINWEISE
Andrea Camilleri ist seit einigen Jahren der meistgelesene Autor in Italien. Geboren im September 1925 in Porto Empedocle, Provinz Agrigent, verbringt er seine Kindheit und Jugendjahre in Sizilien, bevor er 1949 nach Rom geht, um an der Accademia Nazionale di Arte Drammatica zu studieren. Zwischen 1945 und 1950 werden einige Gedichte in wichtigen Literaturzeitschriften wie Mercurio und Inventario veröffentlicht, und in L’Italia socialista und L’ora, einer Tageszeitung in Palermo, erscheinen 1948 und 1949 die ersten Erzählungen.
In Rom kommt Camilleri bald mit der Welt des Theaters und des Fernsehens in Berührung: Er arbeitet für Fachzeitschriften wie Scenario, veröffentlicht Essays und Artikel über Theater, Regie und Fernsehen (u. a. den Band I teatri stabili in Italia, 1959) und beginnt seine Tätigkeit als Hörspiel-, Theater- und Fernsehregisseur. Seit 1958 arbeitet er für die RAI, für die er unter anderem die Fernsehserien mit Tenente Sheridan und Kommissar Maigret produziert. Ab 1974 lehrt er auch Regie an der Accademia di Arte Drammatica.
Doch immer bleiben sein Wunsch und sein Bedürfnis zu schreiben lebendig. Schrittweise überwindet Camilleri die sprachlichen Schwierigkeiten, die sich einem Sizilianer stellen, der sich spontan auf Italienisch ausdrücken will (die Lösung bietet sich in einer Mischung aus Hochitalienisch und Dialekt), und so schreibt er 1967 bis 1968 seinen ersten Roman, Il corso delle cose (dt. Hahn im Korb). Nachdem die großen italienischen Verlage es abgelehnt haben, erscheint das Buch zehn Jahre später bei Lalli in Poggibonsi. 1974-75 arbeitet Camilleri als Hörspielautor für die RAI und schreibt zwei »unmögliche Interviews«, in denen er sich mit dem griechischen Dichter Stesichoros und Friedrich II. unterhält.
Der zweite Roman, Un filo di fumo (dt. Das launische Eiland), wird 1980 von Livio Garzanti veröffentlicht, und 1984 erscheint La strage dimenticata (dt. in: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten) im Verlag von Elvira Sellerio, die Camilleri über Leonardo Sciascia kennen gelernt hat. Acht Jahre liegen zwischen La strage dimenticata und La stagione della caccia (dt. Jagdsaison): In dieser Zeit nimmt
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