Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Titel: Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
Erlebnisse eine Geschichte zu erfinden. Die Meldung, die seine Neugier geweckt hat, wird zuweilen nur am Rande erwähnt, aber auch wenn sie am Beginn der Geschichte steht, kommt ihr eine besondere Rolle zu, denn sie spannt die Brücke von der Wirklichkeit ins Reich der Erzählung. Bezeichnend ist beispielsweise der Anfang von Umschwung unter der Bettdecke oder von Scalfaro, der Leinwandheld im Nudelkrieg, wo sich der Autor erst auf eine bestimmte Tatsache bezieht, dann jedoch den grauen Anzug des Chronisten ablegt und in das schillernde Gewand des Geschichtenerzählers schlüpft, der sich wie immer einer Mischung aus Italienisch und sizilianischem Dialekt bedient.
    Der reale Aufhänger dient vornehmlich als narrativer Vorwand. Camilleri erzählt in imaginären Dialogen zwischen sich und dem »ewigen Besserwisser« oder zwischen erfundenen Figuren wie Miezekätzchen und Dickerchen (Der Spion im Handy). Oder er erzählt von sich selbst, beispielsweise von der Angst, als er vor seiner aufgebrochenen Wohnungstür steht (Die Zigeunerjungen in Agnellis Schrank), oder von seiner Naschhaftigkeit (Lasst uns armen Alten wenigstens die Laster).
    Gewiss sind autobiographische Elemente eine grundlegende Komponente der Alltagsgeschichten, die einen Einblick in Camilleris Wesensart und Denken gewähren. So wird seine Verbundenheit zu altem Brauchtum sichtbar, das auf dem Altar der Moderne geopfert wird – der Weihnachtsmann hat in den Zeiten des Internets hier nichts mehr verloren (Und das Rentier nahm den Weihnachtsmann auf die Hörner). Oder es scheint deutlich die Liebe zu den Frauen durch; spürbar in den Romanen, wo Frauenfiguren eine wichtige Rolle spielen, und ausdrücklich angesichts des Weltfrauentags am 8. März, den er befremdlich findet (8. März oder Der falsche Liebreiz der Mimosen).
    Doch noch etwas lassen diese Alltagsgeschichten erkennen: die unlösbare Bindung zum eigenen Land, Sizilien, das geteilt ist zwischen der Hoffnung auf Veränderung (Glanz und Elend des Pistolero-Barons) und Dramen in Gegenwart oder Vergangenheit wie dem Massaker bei Portella della Ginestra am 1. Mai 1947 (Der 1. Mai und die Mafia). Sizilien ist die Heimat verschiedener Schriftsteller, auf die Camilleri immer wieder Bezug nimmt, von Pirandello über Sciascia bis hin zu Pizzuto, dessen Geschichte er in Ein sizilianisches Doppelleben erzählt. Sizilien ist aber auch der Ort der Kindheit, der Erinnerungen, auf denen der Zauber vergangener Tage liegt. Es ist das Land, in dem der 2. November bis zum Jahr 1943 kein Trauertag war, sondern ein fröhliches Fest für die Kinder, die gespannt auf die Geschenke der lieben Verstorbenen warteten (Als die Toten nicht mehr nach Hause fanden); es ist das Land der Liebe und der Erinnerungen an die Familie, an die Mutter, die das Barometer manipulierte, um ruhig schlafen zu können, und an die Großmutter, die sich bei Gewitter in eine fensterlose Kammer einschloss und auf einen Holzstuhl setzte, von Kopf bis Fuß in eine Wolldecke gehüllt (Genüsslich eidechseln). Es ist das Land des Ururgroßvaters, der Seide von Malta nach Sizilien schmuggelte; an ihn muss Camilleri denken, als er eines Tages in der Zeitung liest, dass ein Schmuggler zwei Touristen überfahren hat. So wird der Bogen gespannt von heute zu früher, vom schmerzlichen Ereignis zur Erinnerung an Kinderzeiten, als er noch ein kleiner Junge war und bei Gewitter Ururgroßvater auf dem stürmischen Meer spielte (Ein Loblied auf alte Schmugglerzeiten).
    Autobiographische Anknüpfungspunkte gibt es im Übrigen nicht nur in Geschichten aus früheren Zeiten. Oft bieten diese auch einen Schlüssel zum Verständnis von Camilleris erzählerischem Werk. Ausgehend von einem beiläufig erwähnten konkreten Ereignis (der Neuerscheinung von Simenons Romanen bei Adelphi), durchläuft der Vater von Commissario Montalbano noch einmal die Stationen seiner »Schuld« gegenüber dem belgischen Schriftsteller: die erste Begegnung mit einem Buch von Simenon im heißen Sommer 1932; der Auftrag der staatlichen Sendeanstalt RAI, die Fernsehserie mit Kommissar Maigret zu produzieren; die Zusammenarbeit mit dem Bühnen- und Filmautor Diego Fabbri, durch die er Einblick in den Mechanismus des Krimis gewinnt; und dann der Entschluss, sich bei Simenon zu »revanchieren«, indem er die Geschichten um Commissario Montalbano schreibt (Was ich Simenon zu verdanken habe). Wir erfahren auch einiges über den Charakter der Hauptfigur seiner Kriminalgeschichten: die

Weitere Kostenlose Bücher