Neun Tage Koenigin
mich herrschte.
An einem stürmischen Tag, an dem alle Fenster vereist waren, kam ein Bote zum Seymour Place und bat darum, Lady Margery sprechen zu dürfen. Sie empfing den Boten im Salon, und wir hörten, wie sie kurz nach der Begrüßung in lautes Weinen ausbrach. Diejenigen, die gerade auf der Treppe waren und es gehört hatten, eilten augenblicklich zu ihr.
Lady Margerys Gesicht war aschfahl, und sie presste einen Brief an ihre Brust, als sei er ein Dolch. Wortlos hielt sie den Brief in unsere Richtung, und weil ich am nächsten stand, nahm ich das Schreiben entgegen. In diesem Augenblick war ich unendlich froh darüber, dass mein Vater dafür gesorgt hatte, dass Cecily und ich beide lesen und schreiben gelernt hatten. Ich las laut vor.
Der Lord Admiral war wegen der Verschwörung zur Absetzung seines Bruders und der geplanten Entführung seines Neffen, des Königs, verhaftet worden. Außerdem hatte er die Absicht gehabt, ohne Zustimmung des Kronrates Prinzessin Elisabeth zu heiraten, und schon das allein galt als Akt des Hochverrates.
Ein entsetztes Keuchen erfüllte den Raum. Während ich die ungeheuerlichen Anschuldigungen verlas, sank Lady Margery auf ein Sofa nieder und begann zu weinen.
Für verurteilte Hochverräter gab es in England nur eine Strafe, das war allen Anwesenden bekannt. Wenn der Admiral all dieser Anklagepunkte für schuldig befunden wurde, dann würde ihn das den Kopf kosten. So einfach war das.
Der Gedanke ließ mich zurückweichen, und ich musste sofort an Jane denken, die gerade oben in ihrem Studierzimmer Cicero übersetzte und keine Ahnung hatte, dass ihr Vormund im Tower saß, dass der Vater des jungen Mannes, für den sie schwärmte, ihn verurteilen würde und dass sich dadurch für sie alles ändern würde.
Alles.
Jane
Massapequa, Long Island
Elf
Auf meiner Zugfahrt nach Massapequa brachte der Sonnenschein, der durchs Abteilfenster fiel, die Steine des alten Rings zum Funkeln, als ich damit an meinem kleinen Finger herumspielte. Der Ring war für den Ringfinger ein wenig zu eng, aber am kleinen Finger passte er, saß dort allerdings ein wenig locker, was dazu einlud, damit herumzuspielen. Meine praktische Seite hatte mir zugeflüstert, dass es doch besser wäre, den Ring lieber in dem mit Samt ausgeschlagenen Kästchen zu transportieren, das Stacy im Laden für mich aufgetrieben hatte. Wilson hatte zwar ebenfalls darauf bestanden, aber als ich mich am Morgen in den Zug gesetzt hatte, war es mir so vorgekommen, als würde mir der Ring aus meiner Handtasche heraus zurufen. Ich hatte ihn mir schon an den Finger gesteckt, bevor wir auch nur Grand Central Station verlassen hatten.
Es war schon eine ganze Weile her, dass ich mit dem Zug zu meinen Eltern gefahren war. Brad hatte in den vergangenen vier Jahren unseren Jeep in der Garage von Freunden untergestellt, die im Gegenzug den Wagen benutzen durften, wenn sie ihn brauchten. An den seltenen Wochenenden, an denen Brad keinen Bereitschaftsdienst hatte, fuhr er gern mit seinem Kanu in den Harriman State Park oder die Tivoli Marshes , und das war auch eigentlich der einzige Grund gewesen, den Jeep überhaupt zu kaufen. Wenn ich oder wir beide zusammen zu meinen Eltern gefahren waren, hatten wir normalerweise ebenfalls den Wagen genommen, aber der stand mir ja jetzt nicht zur Verfügung, weil Brad ihn mitgenommen hatte. Molly und Jeff hätten mir sicher ihren Wagen geliehen, damit ich zur Geburtstagsparty meiner Schwester fahren konnte, aber sie brauchten ihn ausgerechnet an diesem
Wochenende selbst für die Fahrt zur Hochzeit einer ihrer Nichten in Danbury.
Ich fand es jedoch gar nicht so schlimm, mit dem Zug zu fahren, und das sanfte Schaukeln während der Fahrt beruhigte mich. Genau wie der Ring, den ich an meinem Finger spürte.
Zuerst hatte mich der Gedanke, der Ring könnte vielleicht tatsächlich drei- oder vierhundert Jahre alt sein, dermaßen beunruhigt, dass ich Wilson gefragt hatte, ob es nicht auch möglich sei, dass der Ring erst vor zwanzig oder dreißig Jahren in dem Bucheinband versteckt worden sei.
„Glauben Sie das wirklich?“, hatte er gefragt und dabei mit jedem einzelnen Wort diese Vorstellung behutsam infrage gestellt. Also hatte ich erwidert, dass ich es auch nicht glaubte.
Wilson hatte die Gravur im Ring mithilfe meiner Lupe mühelos entziffern können. Er hatte nämlich in den Achtzigerjahren an der Highschool, wo die Schüler, wie er es formulierte, vor nichts und niemandem auch nur einen Funken
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