Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
geschwunden. Das Land, das für die Landwirtschaft e r schlossen wurde, warf anfangs reiche Ernte ab. Wir fürchteten die Konkurrenz durch unsere Brüder, die Kriegsherren. Doch jetzt stellen sie fest, dass die Produ k tivität jener Präriefelder selbst dann nicht wiederherg e stellt werden kann, wenn man sie brachliegen lässt. U n sere Feldfrüchte sind immer noch gefragt. Im Osten gibt es neue Obstplantagen und Weingärten und Süßwasse r fisch aus den Bächen, und eine immer größere Nachfrage nach den Waren, die wir herstellen, in dem Maße, wie sich unsere überschüssige Bevölkerung gen Osten verl a gert. Die einzige Schwierigkeit ist der Transport der G ü ter, und diese Schwierigkeit zieht Verspätungen, Kosten und Unannehmlichkeiten nach sich. Der König wittert hohe Einnahmen, wenn er seine Straße fertigstellen kann. Ich bin einer der Adeligen, die darin eine große Verhe i ßung sehen. Das Holz und die Waldgüter, die jetzt noch schubweise und oft in großen Abständen auf Kähnen und Karren zu uns kommen, würden zu einem steten Ware n strom anschwellen, und sowohl in Landsang als auch hier gibt es dafür einen Markt. Ich sehe voraus, dass alle d a von profitieren würden, wenn die Straße des Königs fe r tiggestellt würde. Aber manche glauben, es sei töricht sich vorzustellen, dass dies noch zu unseren Lebzeiten der Fall sein könnte. Will der König seine Straße volle n den, braucht er Arbeiter und Geld, um diese zu entlo h nen. Und genau in diesem Punkt gerät er in Konflikt mit dem alten Adel. Denn der würde gern seine Arbeiter und sein Geld hier behalten, damit sie zu unserem eigenen Nutzen hier im Westen eingesetzt werden können.«
»Ich dachte immer, die Sträflinge würden die Straße bauen«, wandte ich ein.
»Sträflinge arbeiten ähnlich wie Maultiere. Ein guter Antreiber kann ordentliche Leistungen aus ihnen herau s holen, aber wenn der Antreiber faul oder abwesend ist, sind die Maultiere nutzlos. Und was die Sträflinge anb e langt, so können sie sogar noch Schlimmeres sein als nutzlos; in unseren neuen Städten und an der Grenze können sie großes Unheil anrichten. Wenn sie ihre Strafe abgebüßt haben, haben nur wenige von ihnen den Wunsch, sich zu einem friedlichen Leben voll harter A r beit und bescheidener Rendite niederzulassen. Einige werden Räuber, die Gütertransporte auf eben der Straße überfallen, an der sie selbst mitgebaut haben. Andere werden wieder zu den Trunkenbolden, Dieben und Z u hältern, die sie schon hier im Westen waren. Wenn ihr auf euren ersten Außenposten stationiert seid, werdet ihr feststellen, dass unsere Kavalla und unsere Infanterie in ebensolchem Maße dazu eingesetzt werden, für Ordnung in unseren Grenzstädten zu sorgen, als dazu, die Wilden im Zaum zu halten und den Ansprüchen des Königs Ge l tung zu verleihen. Du und Spink, ihr seid Soldaten in einer schwierigen Zeit, Nevare. Ich verstehe, warum mein Bruder dich mit diesen Intrigen verschont hat, doch schon bald, als Offizier, wirst du in diesen unruhigen Gewässern navigieren müssen. Ich halte es für das Beste, wenn du weißt, was auf dich zukommt.«
»Ich danke Ihnen, Sir, dass Sie auch mich an dieser Aufklärung haben teilhaben lassen«, sagte Spink, und seine Stimme hatte einen grimmigen Klang. »Unser F a milienbesitz liegt nahe der Grenze, und ich weiß, dass wir oft unsere Leute beschützen müssen, und zwar nicht vor Wilden, sondern vor marodierenden Banden von G e setzlosen. Als ich die anderen Kadetten von ihrem Z u hause und ihrem Aufwachsen in friedlicher Idylle erzä h len hörte, dachte ich schon, wir seien die Einzigen, die von diesen Schwierigkeiten geplagt werden. Aber jetzt sehe ich, dass wir das nicht sind. Jedoch begreife ich immer noch nicht, warum sich in dieser Sache Bruder gegen Bruder stellen sollte. Ganz bestimmt könnten sich doch auch die Adeligen, so eng miteinander verwandt, wie sie sind, zusammentun, um für das höhere Gut ihres Königs und ihrer selbst zu handeln.«
»Einige von uns glauben, dass das wahr ist. So haben mein Bruder und ich stets unsere engen Bande bewahrt, und wir sind der Meinung, dass es in unserem besten I n teresse liegt, diese engen Beziehungen auch weiter zu pflegen. Andere Familien jedoch fühlten sich verraten, als der König ihnen ihre Soldatensöhne ›stahl‹. Viele Edelleute fanden, dass die Ländereien, die den Soldate n söhnen gewährt wurden, besser den Erstgeborenen der Familien hätten übereignet werden sollen,
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