Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
für beendet erklärt hatte, und antwortete kurzangebunden: »Weil die Fleck unsere B e stattungsgebräuche nicht respektieren und schon meh r fach die Toten entweiht haben.«
Yarils erschrockenes Ächzen war so leise, dass ich s i cher bin, dass ich der Einzige war, der es hörte. Durch die Antwort meines Vaters war mein Interesse eher g e weckt denn befriedigt worden, aber als er unmittelbar darauf meine Mutter fragte, wie ihr Tag verlaufen sei, wusste ich, dass es sinnlos war, auch nur weiter darüber nachzudenken.
Und so kam dieses Abendessen denn zum Schluss, mit Kaffee und einem Nachtisch, wie alle unsere Abende s sen. Ich grübelte mehr über die Fleck nach als über die mysteriöse Seuche. Zu der Zeit konnte noch keiner von uns wissen, dass die Seuche kein einmaliger Ausbruch dieser Krankheit war, sondern dass sie fortan jeden Sommer zu den Außenposten zurückkehren und langsam aber sicher immer tiefer in das westliche Flachland vo r dringen würde.
Während jenes ersten Krankheitssommers schlich sich der Gedanke an die Fleckseuche allmählich in mein L e ben ein und färbte meine Vorstellung von den Grenzla n den. Ich hatte gewusst, dass die entferntesten Außenp o sten der Kavallerie des Königs jetzt an den Ausläufern des Barrierengebirges lagen. Ich wusste, dass die ehrge i zige Straße des Königs, die quer durch das Flachland vorangetrieben wurde, immer näher an die Berge hera n rückte, dass aber damit gerechnet wurde, dass es noch weitere vier Jahre dauern würde, bis sie fertig war. Seit ich klein war, hörte ich Geschichten von den sagenu m wobenen, scheuen Fleck, dem getüpfelten Volk, das nur im Schatten seines heimatlichen Waldes glücklich leben konnte. Die Geschichten über die Fleck unterschieden sich für meine kindlichen Ohren nur wenig von den G e schichten von Elfen und Waldgeistern, die meine Schw e stern so sehr liebten. Sogar der Name des Volkes hatte sich in unserer Sprache zu einem Synonym für Unau f merksamkeit und Sorglosigkeit eingebürgert. So bedeut e te »arbeiten wie ein Fleck« bummeln und sich auf die faule Haut legen. Wenn mein Tutor mich dabei erwisc h te, dass ich über meinen Büchern vor mich hin träumte, fragte er mich, ob ich befleckt sei. Ich war in dem Gla u ben aufgewachsen, dass die Fleck ein harmloses und ziemlich dummes Volk seien, das die Schluchten und Täler der dicht bewaldeten Berge bewohnte, die in me i ner vom Grasland geprägten Fantasie fast ebenso fant a stisch waren wie das getüpfelte Volk, das dort lebte.
Aber in jenem Sommer wandelte sich mein Bild von den Fleck. Sie standen jetzt für eine tückische Krankheit, für eine todbringende Seuche, mit der man sich womö g lich dadurch ansteckte, dass man einen Pelz trug, den man bei einem Fleck-Händler gekauft hatte, oder dass man sich Luft zufächelte mit einem jener dekorativen Fächer, die sie aus den Litzenranken webten, die in ihrem Wald wuchsen. Ich fragte mich, was sie wohl auf unseren Friedhöfen trieben, wie dieses »Entweihen« der Toten wohl aussehen mochte. Statt – wie einst – für scheu, hielt ich sie j etzt für heimtückisch und verstohlen. Ihr G e heimnis erschien mir jetzt eher als bedrohlich denn als bezaubernd, ihre Lebensweise eher als schmuddelig und von Krankheit und Elend geprägt denn als urtümlich und idyllisch. Eine Krankheit, die für ein Fleckkind nicht mehr als ein paar Nächte Fieber bedeutete, verheerte u n sere Außenposten und entlegenen Siedlungen und raffte kräftige junge Männer in der Blüte ihrer Jugend zu Du t zenden dahin.
Doch so furchterregend die Gerüchte von der mörder i schen Seuche auch waren, es war immer noch eine Kat a strophe, die sich weit weg von uns ereignete. Die G e schichten, die wir hörten, waren wie die Erzählungen von den wütenden Stürmen, die manchmal über die Küste n städte fern im Süden von Gernien hinwegbrausten. Wir zweifelten nicht an ihrer Existenz, aber sie flößten uns keine Furcht ein. Wir wussten, dass sie ähnlich wie die gelegentlichen Aufstände unter den niedergeworfenen Flachländern Tod und Verderben brachten, aber das war etwas, das nur an den Grenzen der wilden Länder g e schah, weit draußen, wo die Reiterei unseres Königs i m mer noch Mühe hatte, die Außenposten zu halten, die wilderen Flachländer zu bändigen und die Wildnis z u rückzudrängen, um Raum für die Zivilisation zu scha f fen. Unsere Felder und Herden in Breittal wurden von der Seuche nicht bedroht. Tod durch Gewalt und Entbe h
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