Nicht schon wieder Liebe
vormachen? Die Wahrheit war, dass Charakterstärke heute nun wirklich nicht allzu weit oben auf ihrer Liste stand. Sie hatte, bevor sie nach Hause gekommen war, kurz bei der in der Nachbarschaft gelegenen Grundschule angehalten, um Lizzys Schulwechsel zu besprechen, und die Frauen, die dort arbeiteten, waren sehr freundlich und hilfsbereit gewesen. Abgesehen davon war ihr gesamter Tag von einem einzigen dumpfen, nagenden Schmerz durchzogen gewesen.
Wie war es möglich, dass ein Mann, den sie erst vor einem knappen Monat kennen gelernt hatte, schon so viel Bedeutung in ihrem Leben erlangt hatte? Und wie um alles in der Welt konnte es sein, dass die Trennung von ihm so unendlich wehtat, obwohl sie doch nur wenige Wochen zusammen gewesen waren und kaum Zeit gehabt hatten, um überhaupt so etwas wie eine Beziehung aufzubauen? So sehr sie es auch versuchte, es war einfach keine Erleichterung von dieser Seelenqual absehbar.
Und Antworten zu verlangen war auch sinnlos. Es gab einfach keine Antworten, mit denen sie leben konnte. Plötzlich fühlte sie sich schwerfällig und alt. Sie wollte sich nicht rühren, und sie wollte mit niemandem reden. Sie wollte einfach nur weiter hier vor dem kalten Kamin sitzen bleiben, bis der Schmerz etwas erträglicher wurde.
Stattdessen musste sie vernünftig sein und sich wie eine Erwachsene benehmen. Sie war praktisch über Nacht in die Mutterrolle gedrängt worden, was bedeutete, dass sie ihrem Bedürfnis, zu heulen und sich an die Brust zu schlagen, nicht nachgeben durfte, sondern sich zusammenreißen musste. Und schlimmer noch, sie musste ehrlich zu sich selbst sein. Denn so sehr sie auch versuchte, sich einzureden, dass dies hier ihr wirkliches Leben war und dass ihr kurzer, magischer Aufenthalt mit Coop in dem geschmacklos eingerichteten Haus in Fossil eine Verirrung gewesen war, ihr Herz kannte die Wahrheit. Und das brachte sie noch um. Die einzige Möglichkeit, die sie sah, vielleicht irgendetwas daran zu ändern, bestand darin, so bald wie möglich mit Lizzy hierher zu ziehen, damit sie anfangen konnten, sich gemeinsam ein anderes, neues Leben aufzubauen.
Bis dahin hatte sie nicht die geringste Chance, sich von diesem schrecklichen Schmerz in ihrem Herzen zu erholen.
»Verdammte Weiber«, murmelte Coop am folgenden Sonntagmorgen zum wohl hundertsten Male vor sich hin. »Weiber bedeuten nichts als Ärger, wenn man mich fragt. Es tut gut, das Haus endlich mal wieder ganz für sich allein zu haben.«
Er hatte die Recherchen und die Vorarbeit, die er leisten musste, um mit seinem neuen Buch beginnen zu können, längst abgeschlossen und hätte inzwischen mit dem ersten Entwurf anfangen sollen. Das hätte er auch getan, wenn ihm das Zusammenleben mit diesem Geschöpf, das das doppelte X-Chromoson trug, nicht in die Quere gekommen wäre. Doch jetzt hatte er alle Zeit der Welt und so viel Ruhe und Ungestörtheit, wie ein Mann sich nur wünschen konnte, der ein paar Seiten unter Dach und Fach bekommen wollte. Was machte es da schon aus, dass er gestern die Gelegenheit zum Schreiben hatte verstreichen lassen? In der einen Minute hatte er noch den ganzen Tag vor sich gehabt, und dann, ehe er gewusst hatte, wie ihm geschah, war es plötzlich höchste Zeit gewesen, hinüber zu gehen und sich um das Tonk zu kümmern, und er hatte noch nicht einmal einen einzigen Satz zu Papier gebracht. Aber egal. Heute würde das anders laufen. Er ließ sich vor seinem kleinen Schreibtisch nieder und schwor sich, dass er sich nicht eher wieder wegrühren würde, bis er fünf oder sechs Seiten geschrieben hatte.
Acht Stunden später schob er sich von seinem Computer zurück, verfluchte den Cursor, der unbarmherzig und unablässig auf der leeren Seite unter der Überschrift Kapitel Eins blinkte, und marschierte die Treppe hinunter. Er brauchte Brennstoff; das war sein Problem. Er würde sich etwas zu essen machen, und dann würde sich diese Blockade in seinem Hirn auflösen.
Zwanzig Minuten später saß Coop wieder an seinem Schreibtisch. Er stieß frustriert den Atem aus, als er auf den spöttisch blinkenden Cursor starrte. Eine stärkende Mahlzeit war anscheinend auch keine Wunderwaffe gegen seinen Blackout. Scheiße, verdammte. Er musste sich konzentrieren , aber er schien seine Gedanken einfach nicht davon abhalten zu können, immer wieder abzuschweifen. Es war einfach zu still im Haus.
Lizzy war wohl kaum das lauteste Kind weit und breit, doch es gab gewisse Geräusche, an die er sich gewöhnt
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