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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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ins Schlafzimmer und überlässt sie dort ihren Analysen, während er selbst noch einmal systematisch prüft, ob es in Erdgeschoss und Keller eine Nische, einen Hohlraum, einen Safe, irgendein Versteck gibt, das sie noch nicht kennen.
    »Ich kann nicht sagen, ob Hans Vollenweider der Täter war oder nicht«, sagt Ekaterina Petrowa, als er nach einer erfolglosen halben Stunde wieder hoch zu ihr geht.
    »Und Miriam, was ist mit ihr?«
    Sie blättert in den alten Berichten, murmelt etwas auf Russisch, tritt vor die Tür des Schlafzimmers, mustert die Treppe.
    »Miriam ist gefallen, hier«, sie zeigt auf die mittlere Stufe, »hier war ihr Blut, und auf den folgenden drei Stufen. Oder aber der Täter kam ihr von unten entgegen und schlug sie nieder.«
    »Was ist wahrscheinlicher?«
    Sie hebt die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
    Kein Wunder. Kein Durchbruch. Keinerlei neue Erkenntnis. Er lehnt sich an die Wand, stellt sich zum x-ten Mal vor, wie es gewesen sein muss. Miriam schläft oben im Bett, während der Täter ihre Eltern umbringt. Etwas weckt sie auf. Ein Schuss, das Geräusch splitternder Knochen, Schreie, Hilferufe … Warum hat sie das nicht gewarnt? Warum ist sie blindlings runtergerannt, so schnell, dass sie stürzte, statt sich in ihrem Zimmer zu verbarrikadieren? Kein Handy, fällt ihm ein. Vielleicht lag es daran. Vielleicht hätte sie heutzutage gar nicht nachgesehen, sondern die Polizei angerufen oder ihren Freund. Oder war es ganz anders, lag Miriam oben in ihrem Bett und wusste genau, was dort unten geschah, wer dort unten wütete, wollte das sogar, und ihr Sturz war die Folge von Unachtsamkeit, nicht von Panik. Oder sie war die Täterin, verletzte sich dabei.
    Er läuft hoch in die Dachkammer, betrachtet das schmale Bett, die Regale, den Schreibtisch. Das kitschige Ölbild. Das Foto von dem Heim. Etwas ist hier, etwas muss hier einfach sein. Sein Instinkt sagt ihm das, verdammt noch mal.
    »Wenn man sucht, findet man nicht immer das, was man erwartet«, sagt Ekaterina Petrowa hinter ihm.
    Er leert die Schmuckschachtel aus, sortiert den Billigtand dann wieder rein. Kein goldenes Schmuckstück ist darunter, definitiv nicht. Er betastet die Rückseite der Regale, dann die Unterseite, checkt die Rückseite der Bilder, prüft, ob vielleicht eine Fußleiste lose ist.
    »Dort, wo ich herkomme, auf der Kola-Halbinsel, gibt es das tiefste Bohrloch der Welt.« Ekaterina beobachtet ihn und wirkt zugleich so, als betrachte sie etwas in sehr weiter Ferne. »Das Bohrloch bei Sapoljarny war einst der Stolz der Sowjetunion. SG-3 hieß es, 15 Kilometer tief sollte es werden. 1970 fingen sie an, exakt an Lenins 100. Geburtstag.«
    Ein russisches Bohrloch, na toll, das ist jetzt wirklich brennend interessant. Er nimmt sich die Rückseite des Schreibtischs vor, öffnet die Dachluke und rüttelt draußen an den Ziegeln.
    »In drei Kilometer Tiefe nahmen sie Gesteinsproben und stellten fest, dass diese identisch mit jenen waren, die man auf dem Mond genommen hatte.«
    Er schließt die Dachluke wieder, dreht sich zu Ekaterina um. »Man kann das als Beweis dafür nehmen, dass der Mond ein Russe ist.« Sie lächelt ihr seltenes Lächeln, wird dann gleich wieder ernst. »1979 waren knapp zehn Kilometer geschafft und damit alle Bohrungen der Amerikaner übertroffen. Doch sie bohrten weiter und weiter. Irgendwann hatten sie zwölf Kilometer geschafft, und nun gab es ein Problem: Die Erde war in dieser Tiefe nicht wie berechnet 100 Grad warm, sondern 180.«
    »Und dann?« Manni starrt sie an, wider Willen fasziniert.
    »Dann drang ein entsetzliches Wimmern und Schreien und Stöhnen aus der Tiefe herauf und versetzte die Forscher in so große Panik, dass sie die Bohrung stoppten. Und wenig später zerfiel ja auch die Sowjetunion, und es war kein Geld mehr da, das Projekt weiterzuverfolgen.«
    Der Mond ist ein Russe, und die Erde weint. Sein Handy fiept los und enthebt ihn netterweise eines Kommentars zu diesem wahnsinnig erhellenden Fazit, auf dem Display erscheint die Nummer Judith Kriegers.
    »Die KTU hat Fasern gefunden«, sagt sie. »Der Täter war im Haus, und zwar in demselben schwarzen Sweat-shirt, das er trug, als er Jonas getötet hat. Er hat sich dort offenbar regelrecht heimisch gefühlt, denn er hat auf der Couch im Wohnzimmer gesessen. Und auf Miriams Schreibtischstuhl.«
    ***
    Der Täter war im Haus. Sie hat sich seine Präsenz dort nicht eingebildet. Er war in dem Haus, obwohl niemand ihn sah, und er ist fast

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