Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
bin«-Lächeln
verschwand schlagartig, als sie mich mit schußbereiter Pistole und todernster Miene vor sich auftauchen sah.
Ich hätte sie am liebsten mit Vorwürfen überschüttet, aber ich beherrschte mich und biß mir auf die Unterlippe.
Kelly wirkte plötzlich traurig und trübsinnig. Daß sie sich eine Dose Cola geholt hatte, war ihre erste
selbständige Unternehmung gewesen, seit sie mit mir zusammen war, und ich hatte sie ihr durch meine
vorzeitige Rückkehr verdorben. Als ich sie ins Zimmer zurückführte, vergewisserte ich mich durch einen raschen Blick in die Runde, daß wir nicht beobachtet worden waren.
Auf ihrem Bett waren leere Keks- und
Kräckerpackungen verstreut; das Ganze erinnerte an eine Szene aus Animal House.
Ich ließ sie auf dem Bett sitzen, während ich nach nebenan ging und ihr ein Bad einlaufen ließ. Als ich wieder herauskam, machte sie noch immer ein trauriges Gesicht. Ich setzte mich neben sie. »Ich bin dir nicht böse, Kelly, ich mache mir nur Sorgen, wenn ich nicht weiß, wo du bist. Versprichst du mir, das nicht wieder zu machen?«
»Nur wenn du mir versprichst, mich nicht wieder
allein zu lassen.«
»Versprochen. Jetzt zieh dich aus, damit du baden kannst.« Ich schob sie ins Bad, bevor sie richtig zum Nachdenken kam.
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»Wäschst du dir die Haare selbst, oder macht das
jemand für dich?« fragte ich, weil ich keine Ahnung hatte.
Kelly machte ein Gesicht, als sei sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.
»Soll ich sie dir waschen?« erkundigte ich mich.
»Ja, bitte.« Ich fragte mich, was in ihrem kleinen Kopf vorgehen mochte.
Ich griff nach dem Shampoo und machte mich an die Arbeit; sie jammerte, weil der Schaum in ihren Augen brannte und sie an den Ohren kitzelte, aber ich merkte, wie sie es genoß, daß sich jemand mit ihr beschäftigte.
Das war verständlich, denn in letzter Zeit hatte sie nicht allzuviel Aufmerksamkeit bekommen. Ihre ganze Welt war auf den Kopf gestellt worden, und sie wußte es noch nicht einmal.
Kelly war eine Wasserratte. Für mich war das nur gut, denn je länger sie in der Badewanne blieb, desto weniger mußte ich mich um sie kümmern. Die Aufgabe, sie zu waschen, sie anzuziehen, mit ihr zu reden und ihre Fragen zu beantworten, war unerwartet anspruchsvoll.
Ich ließ sie noch eine halbe Stunde planschen, bevor ich sie aus der Wanne holte und sie aufforderte, sich abzutrocknen.
Ich duschte, rasierte mich und zog frische Sachen an.
Unsere alten oder nicht passenden Klamotten packte ich in einen Wäschesack, den ich in die neue Reisetasche legte, um ihn bei erster Gelegenheit wegzuwerfen.
Dann waren wir beide im Zimmer, und sie hatte sich selbst angezogen. Ihre Bluse war schief zugeknöpft; 168
während ich das in Ordnung brachte, merkte ich, daß sie mich mißbilligend begutachtete.
»Was gibt’s?«
»Deine Jeans sind schlimm. Du solltest dir wie Daddy Fünfhunderteinser kaufen.«
Als ob ich nicht schon genügend Probleme gehabt
hätte, war jetzt die Modepolizei hinter mir her. »In meiner Größe gibt’s keine Fünfhunderteinser«, fuhr sie fort. »Jedenfalls behauptet Mommy das. Sie trägt keine Jeans; sie ist wie Aida – sie mag Röcke und Kleider.«
Ich mußte sofort wieder daran denken, wie Marsha vor ihrem Bett gekniet hatte. Ich wandte mich ab, damit Kelly mein Gesicht nicht sah.
Dann machte ich mich daran, ihr die Haare zu bürsten.
Das war eine noch ungewohnte Aufgabe, die ich nicht wirklich beherrschte, und die Bürste verfing sich ständig und riß an ihren Haaren. Kelly schrie mehrmals auf und hielt meine Hand fest. Zuletzt gab ich ihr die Bürste, damit sie selbst weitermachen konnte.
Während sie das tat, saß ich auf der Bettkante und fragte: »Hör zu, kennst du Daddys Spezialcode für sein Telefon? Ich kann ihn nicht rauskriegen, obwohl ich schon alles versucht habe. Ich habe eins-eins-eins-eins, zwei-zwei-zwei-zwei und alle möglichen anderen Zahlen gedrückt, aber keine funktioniert. Weißt du, welche Zahlen man eintippen muß?«
Sie hörte mit dem Bürsten auf und starrte mich
sekundenlang an, dann nickte sie.
»Toll! Welche Zahlen muß man also eingeben?«
Kelly gab keine Antwort. Sie schien angestrengt zu 169
überlegen. Wahrscheinlich fragte sie sich, ob sie ihren Daddy hinterging, wenn sie mir die Zahlen sagte.
Ich zog das Mobiltelefon aus der Tasche, schaltete es ein und sagte: »Siehst du, hier steht: ›Bitte PIN
eingeben.‹ Weißt du, welche Nummer dein Daddy
eingibt?«
Als sie
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