No & ich: Roman (German Edition)
damit sich meine Mutter verpflichtet fühlt, mit mir ins Gespräch zu kommen. Das funktioniert immer. Sie ist angezogen und geschminkt, wenn man nicht zu genau hinsieht, wirkt sie wie eine normale Mutter, die gerade von der Arbeit heimgekommen ist. Sie folgt mir in die Küche, ich habe nicht einmal guten Tag oder guten Abend gesagt, ich öffne den Schrank und schließe ihn sofort wieder, ich habe keinen Hunger. Sie will mir in mein Zimmer folgen, ich knalle ihr die Tür vor der Nase zu.
Ich höre, wie sie mich von der anderen Seite aus anschreit, was mich ziemlich verblüfft, sie hat mich schon seit mindestens drei Milliarden Jahren nicht mehr ausgeschimpft. Sie wirft mir vor, ich würde nichts aufräumen, alles herumliegen lassen, Schere, Klebstoff, Bindfaden, sie habe meine Konzeptexperimente und Widerstandsfähigkeitstests satt, satt, satt, in der Wohnung gehe es drunter und drüber, man könne kaum noch mit mir reden, was denn eigentlich los sei?
Genau das ist DIE Frage: Was ist los? Eine allgemeine Frage, eine Frage, die sich jeder stellt, aber niemand beantworten kann. Was läuft schief?
Ich öffne die Tür nicht, ich bleibe auf meiner Seite, ich antworte nicht.
Los ist zum Beispiel, dass auch ich es satthabe, satt, satt, satt, ganz allein zu sein, satt, angesprochen zu werden, als wäre ich die Tochter der Hausmeisterin, ich habe die Wörter und Experimente satt, ich habe alles satt. Los ist, dass ich von ihr angesehen werden möchte, wie andere Kinder von ihren Müttern angesehen werden, ich möchte, dass sie abends an meinem Bett sitzt und mit mir redet, bevor sie das Licht ausknipst, ohne dass ich den Eindruck habe, sie zählt die Fugen im Parkett oder sie hat den Dialog auswendig gelernt.
»Lou, mach die Tür auf!«
Ich sage nichts, ich schneuze mich aber mit aller Macht, damit sie ein bisschen ein schlechtes Gewissen bekommt.
»Lou, warum willst du nicht mit mir sprechen?«
Ich will nicht mit ihr sprechen, weil sie mir nicht zuhört, weil sie immer so wirkt, als würde sie an etwas anderes denken, als wäre sie in ihre eigene Welt verloren oder hätte sich an einer Schlaftablette verschluckt. Ich will nicht mit ihr sprechen, weil sie nicht mehr weiß, wer ich bin, weil sie sich immer zu fragen scheint, was uns verbindet, sie und mich, welche Beziehung zwischen uns besteht.
Ich höre den Schlüssel im Schloss, mein Vater kommt von der Arbeit nach Hause, er ruft nach uns. Seine Schritte nähern sich, er diskutiert mit meiner Mutter, leise, ich kann nicht verstehen, was sie sagen, sie entfernt sich.
»He, Rebellen-Schlumpf, lässt du mich rein?«
Ich drehe den Schlüssel im Schloss. Mein Vater nimmt mich in die Arme.
»Was ist los?«
Ich sehe auf das zerknitterte Papiertaschentuch in meiner Hand, ich bin wirklich traurig.
» Maman liebt mich nicht.«
»Warum sagst du das, du weißt genau, dass das nicht stimmt.«
»Doch, es stimmt, und du weißt genau, dass es stimmt. Seit Thaïs tot ist, liebt Maman mich nicht mehr.«
Da wird mein Vater ganz blass, als wäre etwas über ihm zusammengebrochen, ich bereue, dass ich es gesagt habe, auch wenn ich es denke, denn mein Vater steckt nun schon seit Jahren Unmengen von Energie in den Versuch, mir die Wahrheit zu verhehlen.
Er braucht mehrere Minuten, um zu antworten, und ich weiß, wie schwer es ist, die richtigen Worte zu finden, Worte, die eine Illusion erzeugen, die beruhigen.
»Lou, du irrst dich. Maman liebt dich, sie liebt dich von ganzem Herzen, sie weiß nicht mehr so genau, wie sie es zeigen soll, so als wäre sie aus der Übung, als würde sie aus einem langen Schlaf erwachen, aber in ihren Träumen dachte sie an dich, ganz oft, und deinetwegen ist sie wieder aufgewacht. Weißt du, Lou, Maman war sehr krank … Es geht ihr wieder besser, viel besser, aber wir müssen ihr Zeit lassen.«
Ich habe ja gesagt, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Ich habe sogar gelächelt.
Aber im selben Augenblick dachte ich an die Verkäufer vor den Galeries Lafayette, die an ihren kleinen Ständen die unglaublichsten Geräte vorführen, Maschinen, die irgendwas in Würfel, Scheiben, Lamellen und Windrosen schneiden, die raspeln, pressen, mörsern, mischen, die schlichtweg alles können und ein Leben lang halten.
Aber so blauäugig bin ich nun auch wieder nicht.
N o hat den Fernseher angemacht, die unter ihrem Bett versteckte Wodkaflasche geholt und sich dann neben mich gesetzt. Wir sehen, tief ins Sofa geschmiegt, das Finale von Superstar, sie tut
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